"Seit 2006 gibt es in Russland ein Gesetz, dass es dem Staat ermöglicht Terroristen auch außerhalb der russischen Grenzen zu ermorden."

ZUR PERSON: Andrej Soldatov (35) ist Journalist und Herausgeber der Website Agentura.ru, die sich dezidiert der Berichterstattung über die russischen Geheimdienste widmet. Soldatov ist gemeinsam mit Irina Borogan Autor des Buches: "The New Nobility: The Restoration of Russia's Security State and the Enduring Legacy of the KGB".

Foto: Andrei Soldatov

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Der russische Präsident Dimitri Medwedew (links) und sein Gegenüber, der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow.

Foto: REUTERS/RIA Novosti/Kremlin/Dmitry Astakhov

Ob der Kreml in die Ermordung von Tschetschenen im Ausland involviert ist, warum eine Anklage gegen den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow unwahrscheinlich ist und über einen angeblich beendeten Krieg erzählt der Journalist und Autor Andrei Soldatov in einem E-Mail-Interview mit derStandard.at. Die schriftliche Beantwortung der Fragen zog er vor, weil er mit seinen Aussagen vorsichtig sein müsse.

derStandard.at: Ist der Kreml oder der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow in die Ermordung von im Ausland lebenden Tschetschenen – wie den Mordfall Israilow in Wien im Jänner 2009 – involviert?

Soldatov: Es gibt eine Vielzahl mysteriöser Attentate und dem Verschwinden von Tschetschenen in verschiedenen Ländern. (Katar, Abchasien, Aserbaidschan, Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate). Die meisten der Opfer waren in der Vergangenheit in der tschetschenischen Rebellenbewegung aktiv. Lediglich in Katar haben die Gerichte aber die Komplizenschaft Russlands festgestellt.

Seit 2006 gibt es in Russland ein Gesetz, das es dem Staat ermöglicht, Terroristen auch außerhalb der russischen Grenzen zu ermorden. Unsere Quellen aus dem russischen Innenministerium bestätigen, dass es ein spezielles Abkommen mit Aserbaidschan gibt, das russischen Spezialtruppen den Einsatz außerhalb der Grenzen erlaubt. Wir haben diese Information in der Novaya Gazeta veröffentlicht. Es gab keine Dementi, weder aus Russland, noch aus Aserbaidschan.

In anderen Fällen gab es immer wieder Behauptungen von Behörden über die Beteiligung Russlands, aber es ist nie zu direkten Beschuldigungen gekommen. Moskau hat in allen Fällen jegliche Beteiligung bestritten, genauso wie Kadyrow. Das alles macht es sehr schwer, den russischen Staat oder Kadyrow für diese Morde zur Verantwortung zu ziehen. Mit dem Gesetzesbeschluss im Jahr 2006 und dem von Russland gestützten Regime Kadyrows können wir diese Möglichkeit aber auch nicht ausschließen.

derStandard.at: Wie sehen sie Möglichkeit eines Prozesses gegen Kadyrow?

Soldatov: Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht daran. Bis jetzt haben die westlichen Länder noch keine Antwort darauf gefunden, wie sie mit diesen Morden in ihren Ländern umgehen sollen.

derStandard.at: Könnte Kadyrow für Russland zum Problem werden, wenn es Beweise dafür gäbe, dass er in die Morde involviert ist?

Soldatov: Das denke ich nicht. Der Kreml glaubt an Kadyrow als Garant der Stabilität in Tschetschenien und akzeptiert deswegen alle Entscheidungen und Aktionen Kadyrows.

derStandard.at: Der Krieg in Tschetschenien ist offiziell seit 2009 beendet. Ist der Krieg wirklich vorbei?

Soldatov: Nein. Im Gegenteil: Die Zahl der Terroranschläge steigt im Nordkaukasus, Tschetschenien und sogar in Moskau. Selbstmordattentäterinnen kehren zurück, sowohl im Nordkaukasus, als auch in Moskau. Der Mythos der Stabilität überlebt nur, weil der Kreml die Medien kontrolliert und die Bevölkerung nichts über die Probleme im Nordkaukasus wissen will.

derStandard.at: Tschetschenen, die vor einigen Jahren geflüchtet sind, werden zur Rückkehr ermuntert. Ist es für die Flüchtlinge sicher zurück zu kommen?

Soldatov: Das kommt auf ihr persönliches Verhältnis zu Kadyrow und seinen Leuten an. Für viele bekannte Tschetschenen ist es vielleicht sicher, weil Kadyrow ihre Rückkehr zu Propagandazwecken brauchen kann. Aber für die durchschnittliche Bevölkerung bedeutet es eine Rückkehr in eine Region in der es kein Gesetz gibt, außer den Willen Kadyrows, den willkürlichen Einsatz von Gewalt und eine korrupten Gesellschaft.

derStandard.at: Einige Medienberichten behaupten, dass unter den Flüchtlingen in Europa auch russische Spione sind. Denken Sie, dass diese Anschuldigungen korrekt sind?

Soldatov: Ich sehe keinen Grund warum der russische Geheimdienst nicht versuchen sollte, solche Leute zu rekrutieren. Sie haben exzellente Voraussetzungen, um zu spionieren und Informationen zu sammeln. Zwar nicht über westliche Militärgeheimnisse, aber über die russische und kaukasische Diaspora in den jeweiligen Ländern. (mka, derStandard.at, 17.11.2010)