Die Untersuchung der Zähne mit modernsten Röntgenmethoden zeigte: Neandertaler wuchsen schneller auf.

Foto: Graham Chedd (PBS); Paul Tafforeau (ESRF); and Tanya Smith (Harvard University and MPI-EVA)

Washington - Der Neandertaler hatte vermutlich eine wesentlich kürzere Kindheit als der moderne Mensch. Diese langsamere Entwicklung und damit auch ein höheres erreichbares Alter könnte dem Homo sapiens den entscheidenden Vorteil in der Evolution gegenüber dem Neandertaler gegeben haben, glaubt eine deutsch-amerikanische Forschergruppe. Die Wissenschafter zogen ihre Schlüsse aus der Röntgen-Untersuchung von elf Zähnen von Neandertalern und frühen Homo-sapiens-Vertretern.

In der Studie zeigt die Forschergruppe um die Biologin Tanya Smith von der Harvard University und dem deutschen Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, dass das Wachstum der Zähne bei jungen Neandertalern weit schneller war, als bei den ersten modernen Menschen, die vor 90.000 bis 100.000 Jahren den afrikanischen Kontinent verließen. Beispielsweise zeigte sich, dass ein in Belgien ausgegrabenes Neandertaler-Mädchen, das zu seinem Todeszeitpunkt auf etwa fünf Jahre geschätzt wurde, tatsächlich mit größter Wahrscheinlichkeit erst drei Jahre alt war. 

"Zähne 'protokollieren' Zeit in erstaunlicher weise, sie können jeden Wachstumstag festhalten, ganz ähnlich den Jahresringen eines Baumes," erklärt Smith. Die untersuchten Neandertaler-Zähne hätten gezeigt, dass die Kindheit dieser Menschenart ziemlich hart gewesen sein muss. Im Vergleich dazu hätten die Zähne der untersuchten frühen Homo-sapiens-Exemplare ein deutlich langsameres Wachsum und weniger Schäden gezeigt.

"Lebe langsam, werde alt"

"Dies weist darauf hin, dass die längere Kindheit des Homo sapiens eine sehr junge Errungenschaft war," meint Smith. Offenbar hatte die Entwicklung von einer primitiveren "lebe schnell, stirb jung"-Strategie hin zur aufwändigeren "lebe langsam, werde alt"-Taktik einen wesentlichen Anteil am großen Erfolg der Spezies Homo sapiens. Die Neandertaler starben vor rund 30.000 Jahren aus. (red/APA/AFP)