Johnny Ertl im Dress der "Blades".

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Sheffield – Es gibt Momente, für die der Fußballprofi lebt. Und in England gibt es reichlich davon. So zum Beispiel das letzte Spiel des Crystal Palace Football Club in der Saison 2009/2010. Der Klassenerhalt in der Football League Championship, der zweithöchsten Spielklasse nach der Premier League, stand auswärts im direkten Duell gegen Sheffield Wednesday auf dem Spiel. Das 2:2 vor über 37.000 Zusehern im Hillsborough-Stadion genügte dem Londoner Verein, Wednesday musste den Gang in die dritte Liga antreten.

Am Feld und im Dress der erfolgreichen Elf stand damals Johnny Ertl, 28-jähriger Defensivspieler aus Graz. Noch heute schwärmt er von der Stimmung, die rund um dieses Endspiel herrschte: "Wir trugen unser Herz auf den Rasen. Diese Mannschaft ist in die Geschichte des Vereins eingegangen. Wir haben trotz des Abzugs von zehn Punkten wegen Insolvenz den Abstieg verhindert, das wird man nie vergessen." Ein Schicksal, das Crystal Palace dieses Jahr einholen könnte, der Verein steht derzeit auf dem vorletzten Platz. Nicht mehr direkt davon betroffen ist Ertl, der im Sommer nach Sheffield wechselte, allerdings nicht zu Wednesday, wo einst auch Christian Mayrleb die Fußballschuhe schnürte, sondern zu Sheffield United, der zweiten lokalen Größe.

Große Namen

United hatte die Play-Off-Spiele um den Aufstieg in die Premier League zuletzt knapp verpasst, in dieser Saison trat der Verein an, um es besser zu machen. Gelingen will dies allerdings noch nicht, lediglich fünf von siebzehn Spielen konnten gewonnen werden, in den letzten beiden Heimspielen gegen Ipswich Town und Coventry City setzte es gar zwei Niederlagen in Folge. "Wir spielen nicht schlecht, aber wenn man unten drin steht, wird es auch nicht einfacher", bemüht Ertl eine alte Kicker-Weisheit, die sich erst am vergangenen Mittwoch wieder bewahrheitete. Da traten die "Blades" auswärts bei Leicester City an, gingen nach 0:1-Rückstand 2:1 in Führung, um den Ausgleich in der Nachspielzeit durch einen fragwürdigen Elfmeter wegen Handspiels hinnehmen zu müssen.

Leicester City wird vom ehemaligen englischen Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson trainiert, überhaupt sind große Namen in der Football League Championship keine Seltenheit. So steht bei Ipswich Roy Keane an der Seitenoutlinie und Ertl selbst hört auf das Kommando von Gary Speed. Speed hat 535 Spiele in der Premier League absolviert und liegt damit hinter David James und Ryan Giggs auf Rang drei der ewigen Bestenliste. "Wenn ein Mann mit so viel Erfahrung spricht, hört man aufmerksam zu", gibt sich Ertl respektvoll. Und Speed weiß den ehemaligen Nationalspieler zu schätzen, nur zweimal stand Ertl nicht in der Startformation, "da hat der Trainer aber generell ein wenig rotiert, zudem war ich leicht verletzt".

Rotation unumgänglich

Rotation ist in der Liga ohnehin ein Muss: 46 Runden stehen am Programm, dazu kommen zwei Cupbewerbe. "Das Spiel auf der Insel ist intensiver, man muss körperlich in Bestform sein", sagt Ertl, der auch gerne auf die Bedeutung der Liga verweist. Und tatsächlich sind die Rahmenbedingungen beeindruckend. Im Durchschnitt sehen 18.000 Stadion-Besucher die Matches der 24 Vereine. Sheffield United liegt trotz der durchwachsenen Ergebnisse mit knapp 21.000 Fans im Spitzenfeld. Das rege Publikumsinteresse bringt bare Münze: den TV-Anstalten BBC und Sky sind die Übertragungsrechte für drei Jahre 310 Millionen Euro wert.

Wenn Ertl über die verschiedenen "Grounds", so nennt er die englischen Stadien, spricht, verfällt er sogleich in pure Euphorie. Ob an der Elland Road im Yorskhire-Derby gegen Leeds United, am City Ground von Nottingham Forest oder an der hauseigenen Bramall Lane, an jedem Spieltag wird Tradition und Fankultur auch für den Spieler zum Erlebnis. Am Samstag gastierte Ertl auch noch erstmals im "The Den" des berüchtigten FC Millwall. "Dort stehen sie alle, der Lärmpegel ist unglaublich", sagt der Steirer, der an seinem 28. Geburtstag in der 75. Minute eingewechselt wurde und mit seinen Kollegen einen erleichternden 1:0-Erfolg feierte.

Beliebte Attribute

Ertl ist in der Defensive universell einsetzbar, er spielt sowohl in der Innen- als auch in der Außenverteidigung, gibt in England aber zumeist den Sechser, also den defensiven Mittelfeldspieler. Über das Nationalteam macht er sich keine großen Gedanken, beobachtet fühlt er sich jedenfalls nicht. Ertl akzeptiert, dass "man in Deutschland mehr in der Auslage steht. Aber ich wollte nunmal nach England." Dass die zweite Liga prinzipiell kein Hindernis für eine Teameinberufung sein muss, durfte man zuletzt am Montag feststellen. Der englische Teamchef Fabio Capello nominierte mit Jay Bothroyd einen Spieler vom Zweitliga-Club Cardiff City. Dessen Teamkollege Craig Bellamy ist wiederum Stammkraft der walisischen Nationalmannschaft.

Wichtiger ist Ertl aber ohnehin sein Ruf in der Liga, er habe sich dort "einen Namen gemacht". Johnny Ertl steht für "Einsatz, Enthusiasmus und harte Arbeit" und diese Attribute, sagt er nicht ganz ohne Stolz, "werden von den Engländern geliebt". Am Samstag tritt der Österreicher gegen seinen Ex-Klub Crystal Palace an, Anfeindungen der gegnerischen Fans erwartet er nicht. Erst kürzlich habe ihm ein Fan eine Nachricht zukommen lassen: "Johnny, we miss you in London!" (Philip Bauer; derStandard.at; 16. November 2010)