Müller-Funk: ministerieller Denk- und Rechenfehler.

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Das ist doch erstaunlich: Die österreichische Regierung im Allgemeinen und die Wissenschaftsministerin im Besonderen haben beschlossen, ein ganzes wissenschaftliches Segment ausbluten zu lassen, die Streichung der gesamten Basisförderungen für nicht-staatliche Forschungseinrichtungen ist fix beschlossene Sache. Darüber hinaus droht die völlige Abschaffung der sogenannten "Ermessenssubventionen". Übersetzt man diesen unnachahmlichen Ausdruck aus dem hiesigen Amtschinesisch ins landläufige Hochdeutsch, bedeutet das die tendenzielle Streichung der Förderung von internationalen Symposien und Konferenzen, die nicht aus festen Budgets bestritten werden.

Von einer respektablen Protestliste und einigen kurzen Berichten abgesehen, regt sich dagegen kaum Widerstand.

Es ist in Peter Brucks Gastkommentar an dieser Stelle (8. 11.) zu recht auf das ökonomisch Unsinnige dieser Entscheidung hingewiesen worden, viele dieser Einrichtungen lukrieren stattliche Drittmittelförderungen etwa aus dem Bereich der EU. Sie können dies aber nur tun, wenn sie über eine gewisse Mindestausstattung verfügen. Das sind simple Rechnungen, die auch ein Taferlklassler verstehen würde.

Ganz offenkundig geht das Ministerium davon aus, dass man sich in finanziell schwierigen Zeiten den "Luxus" freier Forschungseinrichtungen nicht leisten könne. Die eilfertig unter der Hand hinzugefügte Versicherung, dass an den Ausgaben für Wissenschaft und Forschung nicht gerüttelt werde, weist überdies darauf hin, dass man staatliche und freie Forschung gegeneinander ausspielen will.

Dieser Denkfehler ist womöglich noch schwerwiegender als der oben erwähnte Rechenfehler. So sehr sich auch die betroffenen Einrichtungen voneinander unterscheiden mögen - sozialwissenschaftliche Forschungsinstitute, politikwissenschaftliche Denkwerkstätten, human- und kulturwissenschaftliche Exzellenzzentren -, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind in hohem Maße innovativ und international, sie sind effizient und verfügen oftmals über ein hohes symbolisches Kapital. So viel Kompetenz und internationales Ansehen mit einem Handstreich zu verspielen, dazu gehört schon ein gerütteltes Maß an Provinzlertum-Unfähigkeit, das eigene Land von außen zu betrachten.

Es geht also nicht um 20 Millionen, sondern um die Rückkehr zu einem Zustand, wie er noch in den frühen 1980er-Jahren in Wien und Österreich dominiert hat, wo intellektuelle Hochkultur Seltenheitswert besaß.

Zum Denkfehler gehört auch, dass man die Interaktion zwischen freien und staatlichen Einrichtungen im Wissenschaftsbereich geflissentlich übersieht. Die freien Einrichtungen stellen nämlich ein wichtiges Korrektiv des akademischen Normalbetriebs dar, weil sie aufgrund ihrer kleinen, flexiblen Strukturen viel schneller auf internationale Entwicklungen reagieren und sich dabei auch exponieren können. Die Interaktion zwischen beiden Sektoren stellt also eine wichtige Voraussetzung für eine dynamische und positive Entwicklung des heimischen Wissenschaftsbetriebs dar.

Dass eine so aberwitzige Maßnahme in einem Land möglich ist, das sich gerne als kulturelle Großmacht versteht, erklärt sich dadurch, dass die intellektuelle Kultur ganz offenkundig nicht unter die Kultur gerechnet wird. Ein weltbekannter Philosoph, eine renommierte Psychoanalytikerin, ein angesehener Historiker zählen nicht im Vergleich zu einer Operndiva oder einem Stardirigenten. Die politische Klasse braucht keinen öffentlichen Protest zu fürchten.

Freie Einrichtungen haben es nicht leicht in diesem Kammer- und Proporzstaat, dessen Handschrift im Übrigen das gesamte Sparpaket prägt: Gespart wird nämlich nicht nach sozialen oder ökonomischen Kriterien, sondern nach Maßgabe der Macht der Interessengruppen: Was man parteinahen Lobby-Funktionären nicht abverlangen mag, das wälzt man auf die politisch Schwächeren ab. Innerhalb des symbolischen Feldes von Wissenschaft und Forschung sind die "Freien" das schwächste Glied. Ihre Unabhängigkeit ist in der Logik der österreichischen Realverfassung ein Handicap.

Es wäre schon deshalb zu wünschen, dass sich die Rektorenkonferenz, aber auch die Hochschülerschaft dem Protest gegen die Marginalisierung des unabhängigen Wissenschafts- und Forschungssektors anschließt. Nicht zuletzt hängt die Zukunft der Universitäten von einer bestimmten intellektuellen Atmosphäre ab, zu der besagte Einrichtungen, ungeachtet ihrer Verschiedenheit, einen substanziellen Beitrag leisten. - Der Wissenschaftsstandort Wien ist in Gefahr. (Wolfgang Müller-Funk, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.11.2010)