Russell Maliphant zeigt jetzt den ersten Teil seines "AfterLight", das am 8. April 2011 in voller Länge präsentiert wird

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Der 32-jährige, aus Israel stammende Choreograf Hofesh Shechter lehrt seine Burschen das aufrechte Gehen

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So unterschiedlich die vier Produktionen aus London sein mögen, viel Gefühl und Geschmeidigkeit ist ihnen jedenfalls gemeinsam. Zunächst schraubt sich der Tänzer Daniel Proietto sanft aus einem Kokon innerer Verstrickungen. Zur Klaviermusik von Eric Satie werden seine Bewegungen kraftvoller, sobald er sich in Bodenkontakt begibt und an Raum gewinnt - in AfterLight Part One von Russell Maliphant, der sich von den Zeichnungen der russischen Tanzlegende Vaslav Nijinsky inspirieren ließ. Die Choreografie lebt überdies von Michael Hulls malerisch grauen, wandelbaren Lichträumen.
Darin lotet Proietto tänzerisches Formengut aus, das mit heutigen Mitteln Klassisches berührt. Er selbst strahlt dabei Zartheit und Lässigkeit aus, wenn er sich die ellipsen- und wellenförmigen Linien einverleibt, die das zeichnerische Werk Nijinskys prägen. 

Am Anfang von Sidi Larbi Cherkaouis Faun, dem zweiten Stück des Abends, stand nicht der historische Nijinsky in seiner skandalträchtigen Paraderolle, sondern der Tänzer James O'Hara. Er und Daisy Phillips begegneten einander als tierhafte Wesen auf eine spielerische, sehr biegsame Weise zur Musik von Claude Debussy und zeitgenössischen Sounds des Briten Nitin Sawhney. Dabei wirken sie sinnlich und kindlich unschuldig zugleich, entstammen ihre Figuren doch der Welt der Mythologie und der Märchen.

Cherkaoui, der sich in dieser Saison als "Artist in Residence" in St. Pölten aufhält, vertraut in seinem Stück ganz auf die gefühlvolle Präzision seiner Tänzer. O'Hara und Phillips gestalten ihre Beziehung mit akrobatischer Raffinesse.

Gute Bodenhaftung 

Auch in Uprising von Hofesh Shechter fallen als Erstes extreme Lässigkeit und häufiger Bodenkontakt als Gestaltungsmittel auf. Die Tänzer halten fast immer den Kopf gesenkt, die Arme sind abgewinkelt, der Rücken rund, und ein starkes Zentrum im Körper erlaubt es ihnen, dass ihre Gliedmaßen immer entspannt erscheinen. Oft kreuzen sie in so etwas wie einem "monkey walk" die Bühne, wenn sie nicht sowieso vom Boden aus agieren. 

All diese Merkmale sind Teile einer sensiblen Übersetzung der Körpersprache männlicher Jugendlicher in den Tanz. Shechter war, ehe er zum Tanz kam, Percussionist, und eine rhythmische Strukturierung ist seinem Stück eigen. Auf inhaltlicher Ebene sind der kämpferische Austausch, die männlichen Drohgebärden und die Szenen der Kameradschaft eine indirekte Reflexion der Aufstände in den Pariser Vororten im Herbst 2005.

Von diesen und der großen Bühne des Festspielhauses geht es im Anschluss in die Box zu Southern Bound Comfort, wo wiederum Cherkaoui seine Hände im Spiel hatte. Es tanzen Ko-Choreograf Gregory Maqoma und Shanell Winlock, beide aus Südafrika, die Cherkaoui im Rahmen ihres Studiums bei P.A.R.T.S. in Brüssel kennengelernt hat. Gemeinsam ist allen dreien die Auffassung, dass im zeitgenössischen Tanz immer Traditionen, Rituale und die persönliche Herkunft eine Rolle spielen und eine wichtige Inspirationsquelle darstellen.

So nebenbei liefern sich Maqoma und Winlock ein tänzerisches Match mit drei eigenwilligen Musikern, die wiederum südasiatische und europäische Klänge verbinden. (Bettina Hagen/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2010)