Gutmann machte aus Unkraut ein Millionengeschäft. "Ich begebe mich in keine Abhängigkeiten."

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STANDARD: Sie sind angeblich nie ohne Ihre uralte Lederhose anzutreffen ...

Gutmann: Ich trage sie seit 30 Jahren, die Hose selbst ist 85 Jahre alt und zweimal generalsaniert, ich habe sie noch von meinem Großvater.

STANDARD: ... dazu orangefarbene Blumenleiberln als Blickfang. Fallen Sie gern auf?

Gutmann: Ich war früher am Bauernmarkt und habe gemerkt, die Hose fällt auf, ich hätte sie schon tausendmal verkaufen können. Sie erdet mich und gibt mir die Freiheit des Spinners. Und freiheitsliebend war ich immer, es war ein Grund, um mich selbstständig zu machen.

STANDARD: Sie setzen mit Ihren Biokräuteln und 150 Mitarbeitern 20 Millionen Euro um. Sind Sie ein knallharter Unternehmer oder der Ökofuzzi aus dem Waldviertel?

Gutmann: Ich bin eine gesunde Mischung. Die verträumte heile Welt gibt es, und die will ich hinaustragen. Aber ich muss das auch verkaufen können. Ich sage meinen Bauern und Partnern, was ich zahlen kann und was nicht.

STANDARD: Sie haben ein Buch über die Sonnenseiten geschrieben. Was ist mit den Schattenseiten des Unternehmertums?

Gutmann: Ich hab nur aus Niederlagen gelernt und mir oft Watschen eingefangen. Ich habe mit null angefangen, darauf bin ich stolz. Mein Ziel war es anfangs, von einer Wurstsemmel zu leben. Ich bin nicht in die Welt gezogen, um reich zu werden. Und ich sage auch meinen Bauern, sie brauchen nicht glauben, übermorgen eine goldene Nasenspitze zu haben.

STANDARD: Welche Watschen haben Sie sich denn geholt?

Gutmann: Nach dem ersten Rumpfjahr bekam ich eine Rechnung vom Steuerberater, für die ich einen Kredit gebraucht hätte. Es gab Investitionen in falsche Standorte. Oder da waren Bauern, die meine Waren plötzlich heimlich direkt verkauft haben. Ich habe gelernt: Passt mir was nicht, muss ich das kommunizieren. Mein Vater sagte schon: Bua, machst die Pappn net auf, dann muasst des Geldbörsel aufmachn.

STANDARD: Sie zahlen sich im Monat ein Chef-Gehalt von 2500 Euro. Stimmt das?

Gutmann: Davon zahle ich noch 1500 Euro Leasingrate für mein Haus. Ich habe alles, und ich brauche nicht mehr, ich habe heute einen Wohlstand, den ich mir niemals hab erträumen lassen.

STANDARD: Sonnentor macht sehr gute Gewinne. Übertreiben Sie es mit Ihrer Bescheidenheit nicht ein wenig?

Gutmann: Würde ich fünfmal so viel verdienen, kann ich trotzdem nicht zweimal am Tag leben und fünfmal essen. Mein Betrieb muss auch nicht wachsen um des Wachsens willen. Wir haben bisher an die 20 Übernahmeangebote bekommen - ich freu mich drüber, aber brauchen tu ich es nicht.

STANDARD: Wie wird man Unternehmer? Sie sind das jüngste von fünf Bauernkindern, haben nie studiert.

Gutmann: Ich war zuerst beim Bundesheer und hatte dann dort eine echte Sinnkrise. Dann ging ich an die Wirtschafts-Uni - genau zwei Wochen. Ich ha-be mich gefragt, was die da tun. Es war derart unglaubwürdig. Dann bin ich zur Brauerei Zwettl. Aber ich war kein Topverkäufer. Und dann lernte ich in der Landwirtschaft erste Sonderkulturen kennen, und sonderbar war damals alles, was das Lagerhaus nicht gekauft hat. Angebaut war das alles ja gleich, aber nicht verkauft - das hat mich interessiert.

STANDARD: Warum scheuen so viele Junge die Gründung eigener Unternehmen?

Gutmann: Medien informieren täglich, was sie verdienen, wann sie in Frühpension gehen können, wie viel Geld man für keine Leistung bekommt. Das kann es nicht sein. Wenn ich mich in die Staatsbetriebe reinschmuggle, das tue, was alle tun, und mit 52 in Pension gehe - das ist doch keine Lebenserfüllung. Aber auch meine Eltern haben mir immer gesagt, ich soll doch Buchhalter werden. Oder zu Raiffeisen gehen. Ich bin verfallen.

STANDARD: Sie wurden oft als Spinner abgetan. Hat Sie das geschmerzt?

Gutmann: Das war mir so wurscht. Mein Ruf war ruiniert. Ich war der Lederhosenjunkie. Ich war der erste Grüne im schwarzen Waldviertel. Grad, dass sie mich nicht angespuckt haben. In Zwettl zeigten mich Nachbarn laufend an, die Gewerbeabteilung legte mir nahe, aus der Region wegzugehen. Aber ich ließ mir meine Idee nicht nehmen, weil ich gewusst habe, das ist meines.

STANDARD: Hätten Sie nicht den Bauernhof Ihrer Eltern übernehmen sollen?

Gutmann: Sie haben uns mit ihrem Fleiß eine tolle Jugend ermöglicht. Aber Bauer zu sein in der EU ist keine Freude mehr. Du hängst an Fördernadeln, ziehen sie die raus, fliegt alles wie ein Kartenhaus zusammen. Außer man setzt sich früh mit Alternativen auseinander.

STANDARD: Ihr Bruder führt heute den Hof - nicht biologisch. Stört Sie das?

Gutmann: Das ist seine Entscheidung. Ich kann es ihm nicht vortanzen.

STANDARD: Sonnentor exportiert über 70 Prozent und war im Ausland lange bekannter als in Österreich. Warum?

Gutmann: Ich wurde im Ausland und nicht in Österreich erfolgreich. Eigentlich brauche ich das, was wir heute hier verkaufen, gar nicht. In Österreich hat es erst geheißen, man will uns nicht, es gibt für uns keinen Platz in den Geschäften. Das, was wir in Deutschland verdienten, haben wir jedoch ins Waldviertel investiert, hier Arbeitsplätze geschaffen.

STANDARD: Was wäre, wenn McDonald's anruft und Ihre Biokräuter im großen Stil zu Fastfood verarbeiten will?

Gutmann: Ich kenne den Geschäftsführer, und im Spaß haben wir einmal darüber geredet. Ich könnte mir das vorstellen. Um Bio in die Breite zu bringen, muss man sich neuen Kunden öffnen.

STANDARD: Von grünem sozialem Image ist McDonald's weit entfernt. Das würden Ihnen viele sehr übelnehmen.

Gutmann: Damit kann ich leben. Sollte es eine Anfrage geben, würden wir das aber demokratisch mit den Führungsmitarbeitern besprechen. Ich bin hier eine Stimme von 13. Lehnen sie es ab, machen wir es nicht. Ich selber fände es total spannend. Wer bringt uns denn weiter? Nicht die Fundis. Diese bespucken uns eh schon lang, weil wir uns erfrecht haben, unser eigenes Franchisesystem aufzubauen.

STANDARD: Damit konkurrenzieren Sie die Bioläden, mit denen Sie gewachsen sind.

Gutmann: Wir tragen viele mit, weil wir an Standorten sind, die sie sich nicht leisten können. Viele braten im eigenen Saft, wundern sich über ihr geringes Eigenkapital. Es sind bedrohte Zwerge. Wenn hundert mich als Lieferanten haben, und ich mich nur auf sie verlasse, hab ich Lungenentzündung. Ich muss eigene Wege gehen.

STANDARD: Wie halten Sie es mit großen Handelsketten?

Gutmann: Ich begebe mich in keine Abhängigkeiten, wir können alles über den Fachhandel absetzen. Anfragen gibt es. Aber sie haben mich am Anfang nicht gebraucht, jetzt brauche ich sie nicht.

STANDARD: Hofer ist Kunde.

Gutmann: Bei ein paar Tees und Gewürzen - vielleicht zwei Prozent des Umsatzes. Leben tun wir vom Export.

STANDARD: Bio wird fast nur noch über den Preis verkauft, kleine Anbieter und Wegbereiter bleiben auf der Strecke. Läuft da nicht einiges falsch?

Gutmann: Große sind Marktmacher für Kleine. Aber diese igeln sich ein, sagen "oje, wir haben es erfunden, und andere laufen uns den Rang ab" . Aber nur durchs Jammern entsteht nichts.

STANDARD: In Vorträgen sprechen Sie viel über Ethik und gutes Karma. Wird man des Weltverbesserns auf die Dauer nicht irgendwann müde?

Gutmann: Ich bin kein Weltverbesserer oder Besserwissen. Aber als einer, der nix studiert, nichts wirklich gelernt hat, seine Geschichte erzählen zu dürfen, bedeutet mir viel. Letztlich kocht ja jeder mit Wasser, ob vierfache Doktoren oder Mütterchen am Herd. Und wenn wir zig Millionen verdienen und dreimal so groß werden: Wir werden alle kein Bröserl davon mitnehmen. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2010)