In seinem Buch "Philosophie des Automobils" nähert sich der Autor dem Auto als Mythos des Alltags.

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DER STANDARD: Wie oft waschen Sie Ihr Auto?

Niklaus Schefer: Gar nicht. Ich habe keinen Wagen.

DER STANDARD: Ein Autophilosoph, der kein Auto besitzt?

Niklaus Schefer: Ich lebe in einer Stadt und kann alles mit dem Fahrrad erledigen. Mit dem Auto wäre ich viel länger unterwegs.

DER STANDARD: Man könnte meinen, jemand wie Sie hätte eine Halle voller Autos. Haben Sie keine Sehnsucht danach, selbst ein Auto zu besitzen?

Niklaus Schefer: Klar beschäftigt mich das. Mich würde ein Auto reizen, dem man mit musealem Interesse begegnet. Ich bräuchte es nicht als Gebrauchsgegenstand.

DER STANDARD: Sagen Sie schon, was für eines.

Niklaus Schefer: Nun, vielleicht ein alter Jaguar. Oder eine DS von Citroën. Oder doch lieber einen Rover 75?

DER STANDARD: Wie wird man Automobil-Philosoph?

Niklaus Schefer: Ich bin Sohn eines Bergbauern und hab aus der Ferne fasziniert auf Autobahnen, auf den vielen Beton und die pulsierenden Städte voller Verkehr geblickt. Und da gehört das Auto, quasi als Mythos des modernen Lebens, dazu. Ich hab dann Philosophie studiert und mich gefragt, warum ich diese Faszination am Objekt nicht mit der wissenschaftlichen Arbeit verbinden soll.

DER STANDARD: Sagen wir, das Auto war der bedeutendste Alltagsgegenstand des 20. Jahrhunderts. Was könnte ihm diesen Rang im 21. Jahrhundert streitig machen?

Niklaus Schefer: Das ist eine spannende Spekulation. Ich denke, irgendetwas aus der Kommunikationstechnologie könnte das Zeug dazu haben. Zumindest was den Mythos und die symbolische Aufladung betrifft. Es könnte etwas sein, das neue Umgangsformen oder Lebenstechniken erzeugt. Da lauert Konkurrenz zum Auto.

DER STANDARD: Der österreichische Autodesigner Julian Hönig, der unter anderem erfolgreich für Audi entwarf, steht nun in den Diensten von Apple. Die Szene munkelt von einem iCar. Können Sie sich das vorstellen?

Niklaus Schefer: Wenn man die aktuellen Entwicklungen weiterdenkt, ist das natürlich ein plausibles Szenario. Elektromobile brauchen Akkus, genau wie Laptops. Das ist ein Riesenthema für beide Branchen, genauso wie Bedienung und Infotainment durch elektronische Assistenten. Da gibt es bestimmt sehr ähnliche Interessen.

DER STANDARD: Zurück zur emotionalen Aufgeladenheit: Nehmen wir an, Sie sehen einen Mann mit Hingabe seinen Wagen vor seinem Haus polieren? Was denken Sie?

Niklaus Schefer: Auch wenn man ein an sich totes Objekt pflegt, ist das Teil der Kultur. Kultur heißt ja ursprünglich Pflege. Das Auto ist diesem Menschen teuer, es kann Ersatz sein für komplexe menschliche Beziehungen, oder es ist ein Fetisch. Da lassen sich viele Dinge, die kulturwissenschaftlich erforscht wurden, eins zu eins übertragen, ohne dass das abschätzig wirken muss.

DER STANDARD: Warum poliert er nicht seine Kaffeemaschine oder seinen Staubsauger? Diese sind ja mittlerweile auch oft gestylte Prestigeobjekte.

Niklaus Schefer: Das Auto ist ein Ausstellungsobjekt. Man stellt sich selber mit diesem Objekt in der Öffentlichkeit aus. Man kommuniziert Status und Prestige. Wahrscheinlich sogar stärker als durch Kleidung. Außerdem ist das auch für die Automarken eine gute Gratiswerbung. Das ist ein bisschen so wie an der Supermarktkassa. Da schaut man ja auch, was der Kunde vor einem aufs Förderband legt. Ein Staubsauger oder eine Kaffeemaschine sind viel zu diskret. Die sieht ja so gut wie niemand. Aus dieser Zurschaustellung lässt sich viel dechiffrieren.

DER STANDARD: Wie tun Sie das?

Niklaus Schefer: Zum einen über die Automarke. Die kann ich in Verbindung bringen mit der Garage und dem Haus. Passen diese zum Bild der Marke, oder gibt es Widersprüche?

DER STANDARD: Gut, nehmen wir einen Mercedes.

Niklaus Schefer: Das Design von Mercedes hat sich dynamisiert, die Marke will sportlicher sein. Aber so eine Neupositionierung braucht natürlich Zeit. Der BMW steht noch immer mehr für Sportlichkeit, obwohl er auch das Luxussegment abdeckt. Der Mercedes drückt dagegen stärker das Gutsituierte und Standesbewusste aus. Aber es gibt in diesem Segment seit zehn Jahren den Trend zur Vermischung. Ein Sportcoupé muss nicht mehr als Gegensatz zur Luxuslimousine verstanden werden.

DER STANDARD: Sie besitzen kein Auto, aber einen Führerschein haben Sie schon, oder?

Niklaus Schefer: Ja.

DER STANDARD: Wie oft fahren Sie mit einem Auto?

Niklaus Schefer: Alle zwei Monate einmal.

DER STANDARD: Wie würden Sie Ihren Fahrstil beschreiben?

Niklaus Schefer: Zum Teil unbeholfen. Wenn's eine Gangschaltung gibt, dann schalte ich schnell hoch.

DER STANDARD: Was ist das Schönste am Autofahren?

Niklaus Schefer: In einer schönen Landschaft über die Landstraße zu gleiten.

DER STANDARD: Wie schnell?

Niklaus Schefer: Gemächlich. So 60, 70 Stundenkilometer.

DER STANDARD: Was mögen Sie nicht beim Autofahren?

Niklaus Schefer: Ich hatte einmal einen Cadillac für ein Wochenende. Kurz bevor ich ihn zurückgeben musste, touchierte ich den Rand eines Gehsteigs. Der Reifen hatte dann ein Loch. So was wird dann umständlich, nervt, geht ins Geld. Natürlich kann ich auch Staus nicht ausstehen.

DER STANDARD: Darf man heute eigentlich noch den Geruch von Benzin und Tankstellen mögen?

Niklaus Schefer: Es gibt gute Gründe dafür, dass man das mögen darf. Wenn wir das mit etwas Kulinarischem vergleichen wollen, könnte man sagen, dass der richtige Feinschmecker jemand ist, der nicht prasst und verschwendet. Öl ist ja seit den Römern auch Teil unserer Kultur. Mein Buch "Philosophie des Automobils" soll das Objekt Auto bewusst machen, seinen kulturellen Aspekt, aber auch seine Gefahren. Das soll zu einer bewussteren Nutzung führen und weg vom unreflektierten, automatisierten Gebrauch.

DER STANDARD: Mögen Sie den Geruch von Garagen und Benzin?

Niklaus Schefer: Es ist ein spezieller Geruch, der mit Erinnerungsbildern verknüpft ist. Das kriegt man nicht weg. Es ist ähnlich wie beim Kaffee. Zu sagen, ich würde den Geruch von Benzin mögen, wäre aber übertrieben. Mir ist der Geruch von frischem Beton lieber. Aber das ist Geschmackssache.

DER STANDARD: Wann wird die letzte Stunde des Benzinmotors geschlagen haben?

Niklaus Schefer: Nun, ich bin kein Geologe und weiß nicht, wie es mit den Ölreserven aussieht. Ich denke aber, dass mit der Hybridentwicklung seit der zweiten Generation des Toyota Prius ein Damm gebrochen ist. Das ist unumkehrbar. Seither ist klar: Irgendwann gibt es keine Otto-Motoren mehr. Da findet ein spannender, kreativer und technischer Wettkampf statt, spannender als in den letzten Jahrzehnten.

DER STANDARD: Andererseits sind SUVs eine äußerst beliebte und nicht gerade alte Autogattung. Was halten Sie davon?

Niklaus Schefer: In der Schweiz gibt es eine Initiative, die den Gebrauch von SUVs verbieten will. Ich würde das bei einer Abstimmung unterstützen. Natürlich wird die Initiative diese Dinger nicht von der Straße bringen. Wichtig ist es aber, festzuhalten, dass es beim SUV-Design nicht um "form follows function" gehen kann, sondern dass sich hier ein Nischenprodukt sehr gut als Prestigeobjekt etablieren konnte. Darin sehe ich eine Gefahr. Soziologische Analysen vermögen gerade aufzuzeigen, warum wir diese oder jene Dinge konsumieren: nämlich oft nicht so sehr aus ökonomischen, sondern gesellschaftlichen Gründen. Beim SUV kommt man ja auch mit ästhetischen Kriterien nicht weit. Außer man schätzt brutalistisches Design.

DER STANDARD: Man hört oft die Meinung, Autos würden heute alle gleich ausschauen. Trauen sich die Autobauer nicht mehr, weil man es allen recht machen will, oder stimmt das am Ende gar nicht?

Niklaus Schefer: Ich würde diese These anzweifeln. Die objektive Einschätzung, ob das Design wirklich einheitlicher wurde, ist schwierig. Für diese Behauptung sprechen Gesetze und Sicherheitsauflagen. Es gibt gewisse Standardisierungen, aber gerade in Sachen Gestaltung der Scheinwerfer und des Kühlergrills wird Individualität sehr betont. Ich denke, die Differenzierungen der einzelnen Marken sind sogar größer geworden. Gerade weil sich durch die Konzentration der Großkonzerne die einzelnen Markenprodukte stärker unterscheiden müssen. Das heißt, Markeneigenheit muss heute allein schon aus strategischen und marketingtechnischen Gründen inszeniert werden.

DER STANDARD: Fragen wir anders. Waren Autos früher schöner?

Niklaus Schefer: Das ist eine gemeine Frage. Da muss ich subjektiv antworten.

DER STANDARD: Ich bitte darum.

Niklaus Schefer: Tendenziell würde ich Ja sagen. Wobei ich heute bei einzelnen Nischenprodukten sagen muss, die sind wirklich geil.

DER STANDARD: Zum Beispiel?

Niklaus Schefer: Der Alfa Romeo 8C oder der Bentley Continental GT, der für mich wie eine Skulptur ist, auch der Mercedes CLS.

DER STANDARD: Wohin schauen Sie bei einem Auto als Erstes?

Niklaus Schefer: Ich schau mir einen Wagen schräg von vorn an. Front und Seitenlinie, darauf fallen meine ersten Blicke.

DER STANDARD: Warum funktioniert das Design des neuen Mini oder des Fiat 500, nicht aber jenes des VW Beetle?

Niklaus Schefer: Wenn ich die drei Autos vor mir sehe, dann sind Mini und Fiat dem Original insofern näher, da sie zum Beispiel mit Chrom arbeiten. Das gehörte beim Urmodell einfach dazu. Wenn die Scheinwerfer des Beetle mit Chrom umfasst wären, wenn das Auto mehr vom originalen "Käfer-Lächeln" hätte, würde das besser funktionieren. Das Organische der Urform kommt bei den beiden anderen besser zur Geltung. Für meinen Geschmack sind auch die Rundungen des Beetle zu ab-strakt. Der emotionale Zugang funktioniert nicht. Hoffentlich schaffen die Designer das bei der nächsten Beetle-Generation.

DER STANDARD: Ist aufgrund Ihres Buches seitens der Autoindustrie jemand an Sie herangetreten? Ihre Arbeit müsste für die Konzerne doch von großem Interesse sein.

Niklaus Schefer: Von dieser Seite hab ich nichts gehört. Mit Genugtuung hab ich aber mein Buch in der Bibliothek des Automuseums von VW in Wolfsburg gefunden. (Michael Hausenblas/DER STANDARD/Rondo/12.11.2010)