Die eigene Erinnerung als komplexes Instrument der Rekonstruktion: Victor Burgins "Voyage to Italy" (Video, 2006).

Foto: Galerie Raum mit Licht

Wien - Ausgangspunkt der Ausstellung Voyage to Italy, die sich mit Fragen der Erinnerung und ihren Orten befasst, war eine Fotografie, die Victor Burgin in der Fotografiesammlung des Canadian Centre for Architecture in Montreal gefunden hat: eine Ansicht der Stadt Pompeji. Die Aufnahme ist von Carlo Fratacci, einem jener Fotografen, die die Stadt nach ihrer archäologischen Wiederentdeckung im 18. Jahrhundert dokumentierten. Basilica (1860) zeigt die Ruinen eines Bauwerks, in dessen Zentrum eine Frau in prächtiger Robe steht.

Ihre Anwesenheit im Bild, die ursprünglich wohl nur dazu gedacht war, die Proportionen der "Basilica" zu verdeutlichen, hat den britischen Konzeptkünstler Burgin zum Projekt inspiriert, das neben den Fotoserien Gradiva (1982) und Basilica I und II (2006) auch den Film Voyage to Italy (2005) umfasst.

Die Serie Gradiva basiert auf einer Novelle von Wilhelm Jensen, zu der bereits Freud und Derrida ausführliche Kommentare verfassten. Burgin versucht sich jedoch in einer Gegenerzählung, die die Geschichte nicht aus der Perspektive des Protagonisten, eines jungen Archäologen, berichtet. Stattdessen erzählt er aus der Sicht jenes Mädchen, das der Archäologe in Pompeji aufzuspüren versucht: Steht man vor der Fotoserie, rollt Burgin ihre Geschichte in der üblichen Leserichtung, also links beginnend auf, während die Geschichte des Archäologen von rechts nach links abläuft.

In der vielschichtigen Arbeit geht es Burgin aber nicht nur darum, das begehrte Objekt in ein Subjekt zu verwandeln - vielmehr spielt auch die psychoanalytische Frage nach dem Begehren des Abwesenden eine Rolle.

Victor Burgin stellt Fragen nach der Rekonstruktion von Vergangenheit: In den Fotoserien Basilica I und II wird die Unmöglichkeit einer lückenlosen Rekonstruktion etwa durch perspektivische Aufnahmen einzelner "Basilica"- Säulen vermittelt. Im Film Voyage to Italy präsentiert Burgin auch die eigene Erinnerung als ein komplexes Rekonstruktions-Instrument. Er verknüpft darin nicht weniger als drei Beziehungsgeschichten zu einer atmosphärischen Collage: jene aus Jensens Novelle Gradiva, die des Fotografen Fratacci zu seinem unbekannten Modell und die aus Roberto Rossellinis Film Reise nach Italien. Eine Reise, die die um eine Wiederbelebung der Beziehung bemühten Protagonisten ebenfalls in die tote Stadt führt. (Christa Benzer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2010)