Nadejda Matsko erhielt den ersten ACR-Woman-Award.

Foto: ACR/ALICE SCHNUER-WALA

Die Biophysikerin Nadejda Matsko hat für jeden ihrer Schritte zwei Erklärungen: eine logisch nachvollziehbare und eine fatalistische, welche die rationale wieder relativiert. Man nehme etwa ihre bahnbrechende Entwicklung der Kryo-AFM-Methode, die die Möglichkeiten modernster Rastermikroskope mit jenen der Kryotechnik - sprich: des Einfrierens von Untersuchungsobjekten - kombiniert. Matskos Kollegen fordern gerne eine wissenschaftliche Erklärung für das Kunststück, erstmals dreidimensionale Bilder von gefrorenen Zellstrukturen sehen zu können. Ihre Antwort darauf: "Als Ursprung allen Lebens hat mich schon immer Wasser fasziniert. Wasser ist nämlich mehr als nur H2O - es spielt eine wichtige Rolle bei der Informationsübertragung in Zellen. Wie diese Information da reinkommt, weiß ich aber noch nicht - sonst hätte ich ja bereits einen Nobelpreis."

Mit dem vom Wirtschaftsministerium geförderten und heuer erstmals von der Austrian Cooperative Research vergebenen "ACR-Woman-Award" wurde Matsko immerhin gerade ausgezeichnet. Nicht zuletzt, weil sie das Projekt zur 3-D-Analyse von biologischen Stoffen und Kunststoffen von Beginn an leitete. Die Untersuchung von gefrorenen Materialien - "die meisten bestehen bis zu 80 Prozent aus Wasser", so Matsko - sei demnach nur ein Nebenprodukt ihres eigentlichen Forschungsinteresses gewesen. Und viel lieber sei ihr auch die wesentlich kürzere Entstehungsgeschichte zu dieser Technologie: "Es war Glück, nein, eigentlich musste es so kommen."

Dennoch hatte die gebürtige Ukrainerin ganze sieben Jahre an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich geforscht, bevor sie mit dieser Idee ins Grazer Zentrum für Elektronenmikroskopie (ZFE) wechselte. Matsko karrieretechnisches Kalkül beim Wechsel vom renommierten Moskauer Institut für Physik und Technologie nach Zürich zu unterstellen, fällt schwer: "Nach Zürich bin ich gekommen, weil es Zeit war - und weil ich die Berge gern habe", sagt Matsko. Nach Graz wechselte sie dann "rein zufällig", wie sie sagt, aber "als ich mit dem Institutsleiter des ZFE gesprochen habe, war klar: Dort kann ich machen, was ich machen will!"

Am ZFE sah sie dann erstmals dreidimensionale Bilder der Zellstruktur von Biomaterialien und Kunststoffen. Das ist nicht nur völlig neu, sondern auch praktisch, weil sich dadurch bei der industriellen Fertigung gute Kontrollmöglichkeiten für Fehler in Hightech-Materialien ergeben. "In der Medizin ist das wohl auch hilfreich", meint Matsko nur, aber eigentlich interessiere sie die konkrete Anwendung nicht. "Ich bin fasziniert von den Bildern selbst. Chitin ist so schön, wenn man es einfriert, fein schneidet und dann unterm Mikroskop betrachtet."

Einfrieren - fein schneiden - mikroskopieren: Wenn Matsko diesen Prozess erklärt, klingt er wirklich sehr einfach: "Das geht wie mit einer Salami, nur muss sie eben sehr fein mit einem Diamantenmesser geschnitten werden." Die "Salamischeiben" legt Matsko dann unter das Mikroskop "Snotra", benannt nach der nordischen Göttin für Klugheit und Tugend. Es ist weltweit einzigartig, wurde nun zum Patent angemeldet und stamme von einem "lieben Kollegen" der Moskauer Firma "Nano Scan Technology". Ob das die besten Mikroskopbauer der Welt seien, wisse Matsko nicht, aber "es sind die verrücktesten der Welt, und das ist wichtig!".

Das alles so kommt, wie es kommen soll - davon ist die 36-jährige Wissenschafterin übrigens auch überzeugt, wenn es um den Gender-Aspekt in der Forschung geht: "Nein, ich habe nicht die geringste Ahnung, ob damals wenige Frauen Physik in Moskau studiert haben - ich habe ja nicht nachgezählt. Aber die Welt ist in dem Moment bereit, in dem du dich entscheidest, etwas zu tun." (Sascha Aumüller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2010)