Hundstorfer fühlt sich vom Koalitionspartner am Schmäh gehalten: "ÖVP behauptet, sie wisse von nichts."

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Wien - Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) will die Bundesländer an die Kandare nehmen: Die zusätzlich überwiesenen Steuereinnahmen, etwa aus der Bankenabgabe, müssten zweckgewidmet werden und mindestens zur Hälfte für die Pflege verwendet werden, fordert er im Standard-Gespräch: "Die Länder können mit dem Geld nicht machen, was sie wollen."

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Standard: Das Sparpaket trifft Studenten, Behinderte, Pflegefälle, arbeitsuchende Jugendliche, Zivildiener. Ist dieses Budget für einen sozialdemokratischen Sozialminister nicht ein Debakel?

Hundstorfer: Nein. Dass ein Sparpaket Betroffenheit auslöst, liegt in der Natur der Sache. Aber nüchtern betrachtet haben wir von allen europäischen Ländern das kleinste Sparpaket geschnürt. Wir bauen das Sozialsystem nicht ab, sondern bremsen lediglich die Kosten. Entscheidend ist, in welcher Höhe und Relation die Einschnitte erfolgen ...

Standard: ... und wer davon betroffen ist. Die SPÖ wollte eigentlich die Reichen zur Kasse bitten. In den nächsten Jahren machen aber allein die Kürzungen bei den Familien mehr aus als die Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern.

Hundstorfer: Was wir in der Koalition an vermögensbezogenen Steuern zusammengebracht haben, halte ich für sehr herzeigbar. Die Verschärfungen bei den Privatstiftungen, die Wertpapierabgabe - damit hätte zu Beginn der Budgetverhandlungen mit der ÖVP niemand gerechnet. Die Sozialdemokratie hat einen guten Weg beschritten.

Standard: Die allgemeine Vermögenssteuer blieb aber ein rotes Lippenbekenntnis. Für alle Zeiten?

Hundstorfer: Nein. Die Vermögenssteuer steht auf der Agenda für die nächste Steuerreform ab 2013. Aber unsere politische Welt ist eben eine große Koalition.

Standard: Und in dieser hat ein reiches Land keine andere Möglichkeit, Geld einzusparen, als zum Beispiel bei Pflegepatienten?

Hundstorfer: Wir sparen in Summe nicht bei der Pflege, sondern dämpfen lediglich den Zuwachs. Im nächsten Jahr werden wir deshalb nicht - wie ursprünglich prognostiziert - 83 Millionen mehr fürs Pflegegeld ausgeben, aber immer noch 65 Millionen.

Standard: Trotzdem werden viele bisherige Bezieher künftig nichts mehr bekommen - und die sind laut Ihrem Vorgänger, Behindertenanwalt Erwin Buchinger, besonders häufig von Armut betroffen.

Hundstorfer: Bei intensiver Beschäftigung mit der Materie wird man sehen, dass die Bezieher der Pflegestufe 1, um die es hier geht, im Schnitt höhere Pensionen haben als etwa in Stufe 7 - wir wissen schon, was wir tun, und nehmen keine dramatischen Einschnitte vor. Statt 60.000 neuen Beziehern kommen im nächsten Jahr nun eben "nur" mehr 50.000 dazu. Im Gegenzug wird das Pflegegeld der Stufe 6 angehoben.

Standard: Was ist daran sozial, Rampen für Rollstuhlfahrer einzusparen?

Hundstorfer: Niemand spart die Zugangshilfen für Behinderte ein. Wir erstrecken nur die Frist, bis diese in öffentlichen Gebäuden eingebaut werden müssen, um fünf Jahre ...

Standard: ... was in den nächsten Jahren auf eine Einsparung hinausläuft.

Hundstorfer: Die Ministerien für Wissenschaft und Unterricht hatten massive Probleme, die ursprünglich bis 2015 laufende Frist einzuhalten. In meinem eigenen Ressort ist das nicht so - aber letztlich hat mich die gesamte Regierung ersucht, die Frist zu verlängern.

Standard: Die Sozialdemokraten sprechen viel von Bildung - und werfen dann Studenten Prügel zwischen die Beine. Warum haben Sie die Begrenzung der Familienbeihilfe bis zum Alter von 24 ausverhandelt?

Hundstorfer:Bei den neuen Studienordnungen geht es sich im Großen und Ganzen aus, ein Studium bis 24 zu beenden. Außerdem gab es ja bereits ein paar mildernde Klarstellungen - und die nächsten Tagen werden weitere Lösungen, etwa für überlange Studien, bringen. Bei den Familien darf man eines aber nicht vergessen: Die 13. Familienbeihilfe wird nun zwar etwas eingeschränkt - vor zwei Jahren hat es sie aber noch überhaupt nicht gegeben.

Standard: Welche Härten möchten Sie denn noch beseitigen?

Hundstorfer: Ich habe mir abgewöhnt, Verhandlungen via Medien zu führen. Klar ist: Die Ecksummen müssen so stehenbleiben.

Standard: Die Industrie klingt recht zufrieden. Gibt Ihnen das als Gewerkschafter nicht zu denken?

Hundstorfer: Nein. Es sind ja auch die Gewerkschaften zum Großteil zufrieden.

Standard: Eben. Es scheint, dass nicht der sozial Schwächste, sondern die stärkste Lobby geschont wurde. Die Hacklerfrühpension wird nun doch nicht abgeschafft. Untergraben Sie damit nicht das Pensionssystem?

Hundstorfer: Keineswegs. Auf die Langzeitversichertenregelung kommen ordentliche Veränderungen zu. Als einziger Vorteil für Menschen mit vielen Beitragsjahren bleibt, dass sie im Alter von 62 mit niedrigeren Abschlägen als gewöhnliche Pensionisten in den Ruhestand treten können - ohne Abschläge geht's ab 2014 nicht mehr. Statt Mehrkosten von 4,7 Milliarden Euro bis 2020 werden wir deshalb wahrscheinlich nur mehr 200 Millionen brauchen.

Standard: Bis die Einsparungen ab 2014 greifen, wachsen die Kosten aber viel stärker als die Wirtschaft - das zeigen Ihre eigenen Daten.

Hundstorfer: Es gibt auch Dämpfungsmaßnahmen, die ad hoc greifen - etwa die Beitragserhöhungen für Bauern und Gewerbetreibenden oder die gestrichene Inflationsanpassung im ersten Jahr. Die nächste Prognose wird deshalb deutlich positiver ausschauen. Wir haben uns aber entschieden, etwas nicht zu tun, was viele Nachbarländer gemacht haben: die Pensionen zu kürzen.

Standard: Dafür müssten Sie nicht die "Hackler" , die in Wahrheit oft gut situierte Angestellte sind, in die teure Frühpension gehen lassen. Das Sparpaket zeigt, dass das auf Kosten von Investitionen, etwa für Bildung, geht - da ist die Regierung nicht so zimperlich.

Hundstorfer: Es gibt bei Pensionen eben einen anderen Vertrauenschutz als bei staatlichen Beihilfen. Wo es rechtlich möglich war, haben wir eingegriffen - der Wegfall der bisher anrechenbaren Ersatzzeit für die sogenannte Hacklerpension ist nicht schwach, das sind ein paar hundert Millionen. Klar ist aber: Wir müssen versuchen, die Menschen länger und gesund im Erwerbsleben zu halten. Ein um ein Jahr höheres Pensionsantrittsalter bringt eine Milliarde Euro.

Standard: Pensionsexperten halten die Bremse bei der Hacklerfrühpension für zu schwach, um das Antrittsalter entscheidend zu heben.

Hundstorfer: Ich liebe die Experten alle, nur: Das Pensionsantrittsalter lässt sich nicht einfach per Knopfdruck anheben. Eine Zahl zur Illustration: 30 Prozent der Pensionsanträge erfolgen aus der Arbeitslosigkeit heraus. Unser großes Vorbild Finnland hat fünf Jahre gebraucht, um das Antrittsalter um ein Jahr anzuheben. Das ist auch mein Ziel. Sorgenkind ist dabei gar nicht die Hacklerregelung - wenn alle mit 62 in Pension gehen würden, wären wir happy.

Standard: Wo liegt dann der Schlüssel verborgen?

Hundstorfer: Bei den Invaliditätspensionisten, ohne die wir die 62 Jahre schon jetzt erreicht hätten. Genau da greifen wir nun ein. Es wundert mich nur, dass der Koalitionspartner behauptet, er wisse von nichts. Alles war schon vor der Budgetklausur von Loipersdorf exakt vereinbart. Josef Prölls Finanzressort war selbstverständlich eingebunden.

Standard: Die ÖVP beklagt sich über neue Kosten.

Hundstorfer: Die ÖVP will eben sticheln. Gerade die Wirtschaft hat immer gefordert, dass vor jedem Antrag zur I-Pension ein Antrag für eine Rehabilitation gestellt werden muss - diese kostet auch in der Billigsdorfervariante etwas. Es war immer klar, dass wir 2011 erst einmal Geld investieren müssen, ehe sich später Einsparungen einstellen.

Standard: Warum schaufelt die Regierung zusätzliches Steuergeld in die Länder, ohne diese zu Einsparungen verpflichtet zu haben?

Hundstorfer: Da gibt es bestehende Finanzpakte ...

Standard: ... nicht auf dem Papier.

Hundstorfer: Der neue Stabilitätspakt wird den Ländern einen Beitrag abverlangen. Ich verlange, dass ein Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen der Länder, etwa aus der Bankenabgabe, für die Pflege zweckgewidmet wird - zumindest die Hälfte des Geldes muss in den geplanten Pflegefonds fließen. Ein Land, nämlich Wien, hat bereits zugesagt, das mitzutragen. Es ist das erste Mal, dass man solche Worte hört. Eines muss sichergestellt werden: Die Länder können mit dem zusätzlichen Steuergeld nicht machen, was sie wollen. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.11.2010)