Wie leben? - Das fragen sich die bei Tschechow ausgeliehenen Figuren Janusz Glowackis.

Foto: Lukas Beck

St. Pölten - Früher oder später erwischt in Janusz Glowackis Tschechow-Paraphrase Die vierte Schwester alle Beteiligten die Melancholie. Über Bettkanten und Sessellehnen lassen sie ihre russischen Seelen baumeln. Mit ins Leere gehenden Blicken, aber dann doch wieder schnell bereit zu Fröhlichkeit. Schmuddelige Teppiche führen in wilden Bahnen über Boden, Wände und auch auf den wackeligen Plafonds einer hier verschachtelt angedeuteten Wohnung (Bühne: Martin Warth).

Hier trinkt sich ein seinen militärischen Träumen erlegener Witwer (Karl Ferdinand Kratzl) das Leben schön; hier türmen sich die Probleme seiner aus unterschiedlichen Gründen bisher unverheiratet gebliebenen drei Töchter (Antje Hochholdinger, Chris Pichler und Pippa Galli), und hier setzt die verwitwete Nachbarin (Dolores Schmidinger) alles auf ihren mafiotisch veranlagten Sohn (Oliver Rosskopf). Ausgerechnet der zum Dienstmädchen degradierte Adoptivsohn (Hendrik Winkler) wird - als titelgebende "vierte Schwester" - Karriere in Hollywood machen bzw. so etwas ähnliches.

Der lähmende Stillstand, Wesensmerkmal sämtlicher Tschechow-Stücke, macht sich auch in Die vierte Schwester breit. Glowacki verstärkt allerdings das Tragikomische. In der Regie von Intendantin Isabella Suppanz gerinnt das zur Farce, in der die drei aufgekratzten Töchtertypen, allesamt auf klägliche Weise von ihren Liebhabern betrogen, das lebhafte Zentrum bilden. Die von Fadesse und Wodka durchtränkte Luft zerschneiden sie hie und da mit kleinen Anläufen zum richtigen Leben. Das ist eine Zeit lang schön anzuschauen. Allerdings sind die hier entworfenen Bilder vom falschen Glück auch ein wenig abgegriffen. Da ist es gut, dass Krzysztof Dobrek und sein Akkordeon diese österreichische Erstaufführung regelmäßig durchkreuzen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD - Printausgabe, 5. November 2010)