Die Szenen sind symbolisch: 2008, nach der "historischen Wahl" Barack Obamas, weinte der alte Bürgerrechtler Jesse Jackson bei der Siegesfeier vor Rührung. In der Nacht zum Mittwoch zerdrückte der republikanische Spitzenmann John Boehner, der sich in den vergangenen 18 Monaten als "Mr. No" im Kongress profiliert hatte, ein paar Tränen über der Niederlage des Präsidenten und der Demokraten. Dazwischen liegen die Hoffnung auf Wandel, ein paar Krisen und viel, viel Ernüchterung, die Obama selbst schon in seiner Siegesrede im Grant Park von Chicago vorausgesagt hatte: "Es wird Rückschläge geben. Viele von euch werden nicht mit dem einverstanden sein, was ich tue. Und wir alle wissen, dass die Regierung nicht jedes Problem lösen kann. Aber ich werde ehrlich zu euch sein. Und ich werde immer auf euch hören."

Weise Worte eines intellektuellen, vorausschauenden Präsidenten. Und trotzdem ist Obamaland abgebrannt. Trotzdem ergeht sich eine Nation in kollektiver Realitätsverweigerung und versucht den Aufbruch in die Vergangenheit. Ohnmacht statt Change bestimmt die Agenda in Washington. Nach dieser Wahl wohl mehr denn je. Was ist schiefgelaufen, seitdem dieser Präsident sein Amt angetreten hat? Und was kann in den kommenden zwei Jahren denn noch alles danebengehen?

Die Ironie ist, dass Obamas Präsidentschaft auf die schiefe Ebene geraten ist, weil er vieles richtig gemacht hat. Er hat ein enormes Konjunkturpaket geschnürt, die Autoindustrie umstrukturiert, die Wall Street gerettet, eine Gesundheitsreform durchgeboxt und auch versucht, im Klimaschutz etwas zu erreichen. Die Herzen - und vor allem die Brieftaschen - seiner Wähler hat er damit nicht erreicht. Sie warten auf eine schnelle Erholung der Wirtschaft, die so nicht kommen wird. In Wirklichkeit müsste Barack Obama sein Land radikal umbauen - wenn ihn seine Demokraten in seinen ersten zwei Jahren nur gelassen hätten und die Republikaner ihn jetzt nur ließen.

Heute sind alles in allem an die 17 Prozent der US-Bürger arbeitslos, leben 40 Millionen Amerikaner von Lebensmittelhilfen, würde es in den kommenden 25 Jahren jeweils 130 Milliarden Dollar pro Jahr brauchen, um allein die amerikanische Verkehrsinfrastruktur auf europäisches Niveau zu bringen. Gegen all diese Probleme wird in den kommenden zwei Jahren wohl nichts unternommen werden, weil beide Parteien in Washington von anderen Interessen getrieben sind.

Ob das tatsächlich den "Superstillstand" bedeuten könnte, den manche Politologen in den Vereinigten Staaten voraussagen, sei dahingestellt. Sicher scheint, dass Obama sich selbst etwas Change verordnen wird. Der Überflieger muss es in den kommenden Jahren billiger geben, das Visionäre endgültig mit der Kunst des Möglichen eintauschen.

Das ließ der Präsident auch bei seinem ersten Statement nach der Niederlage am Mittwoch in Washington anklingen. Er habe den Willen der Bürger verstanden und wolle mit den Republikanern ernsthaft zusammenarbeiten. Die Amerikaner erwarteten dies, das sei die Botschaft der Wähler an Washington. Es waren nüchterne Worte in nüchternen Zeiten.

Wenn mit diesem Zugang nach der nächsten Wahl in den Staaten niemand mehr weint, könnte das ein gutes Zeichen sein.  (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2010)