Heute ist Tag drei der Internetfreiheit. Alle gucken in ihre Röhre, YouTube ist in der Türkei nach zweieinhalb Jahren Verbot wieder offen. Aber das war es - mit ein paar Maus-clicks mehr - immer schon, und außerdem ist das nächste Verbotsurteil gegen die Video-Plattform von Google bereits im Anrollen. Die Türkei und das Internet - ein hoffnungsloser Fall? Nicht doch.

„Wir haben heute mehr Selbstvertrauen", sagte Europaminister Egemen Bagis zu Wochenbeginn bei einem Treffen der europäischen Grünen in Istanbul und meinte damit generell die Haltung der Türken zu den endlos gestreckten Beitrittsverhandlungen. Das (vorläufige) Ende des YouTube-Banns ist nur ein weiteres Zeichen dieses neuen Selbstvertrauens. Die türkische Regierung hat über die Jahre eingesehen, dass sie sich mit dem Verbot innerhalb wie außerhalb des Landes lächerlich macht. Ein paar diffamierende Videos über den Staatsgründer Kemal Atatürk im Internet blockieren wollen und dafür eine Mauer um die schändliche Video-Plattform hochzuziehen, hat sich nicht ausgezahlt. Staatspräsident Abdullah Gül ging Anfang Oktober als erster aus der Deckung und stellte das Urteil der türkischen Richter gegen YouTube öffentlich in Frage. Auch Egemen Bagis kamen zu Hause langsam Zweifel. „Mein elf Jahre alter Sohn konnte die Seite öffnen. Es war also ein Verbot, das nicht funktionierte", erzählte der Minister. Bagis junior beherrscht die Kunst des Proxy-Surfens.

Eine Woche vor der Präsentation des neuen „Fortschrittsberichts" der EU-Kommission zur Umsetzung der Reformen in der Türkei macht sich die Aufhebung des YouTube-Verbots also schon einmal gut. Sie zeigt aber eben auch einen vorsichtigen und kalkulierten Mentalitätswandel: weg vom bevormundenden zum liberalen Staat. Im Prinzip. In Wirklichkeit sind derzeit über 7000 Webseiten in der Türkei blockiert, Tendenz immer nur steigend. Für chinesische Methoden ist im euro-atlantischen Raum kein Platz, wie auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit ihren Appellen zur Internetfreiheit in der Türkei immer wieder betont. Und sieht man genauer auf den Atatürk-Streit mit YouTube tritt die türkische Regierung vielleicht selbstbewusster, die türkische Justiz aber nicht eben freigeistiger auf.

Ein türkisches Unternehmen - so die Darstellung - konnte eine Lizenz für die strittigen Videos über den Republikgründer geltend machen und auf diese Weise aus YouTube herauslösen. Warum ihr das nicht in den vergangenen zweieinhalb Jahren eingefallen ist, bleibt ein Rätsel. Ein angebliches Sexvideo, über das der damalige Oppositionsführer Deniz Baykal zu Beginn des Jahres gestolpert war, beschäftigt nun schon wieder ein Strafgericht in Ankara. Wird das Gericht bei YouTube fündig, setzt es das nächste Verbot. Gute Nachrichten für Gabriel Ramuglia in Las Vegas. Der 27-Jährige lebte bisher außerordentlich gut von den Proxy-Servern, die er im wesentlichen für türkische Internetbenutzer betreibt. Das YouTube-Verbot hat ihm eine stabile Million Nutzer am Tag aus der Türkei für k-tunnel.com oder vtunnel.com gebracht.