Flüchtlinge in Europa besser aufteilen - fordert Elias Bierdel.

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STANDARD: Der Frontex-Einsatz an der türkisch-griechischen Grenze hat am Dienstag begonnen. Wird die EU-Außengrenze in Griechenland jetzt abgeriegelt?

Bierdel: Nein, denn der Einsatz findet nur an einem winzig kleinen Abschnitt der griechischen Außengrenze statt. Die Entsendung der ersten "schnellen Eingreiftruppe" der EU ist auch ein wenig Show. Man will nach innen und nach außen zeigen, dass Europa handlungsfähig ist.

STANDARD: Ist diese Entsendung Ausdruck eines insgesamt härteren Umgangs der EU mit Flüchtlingen?

Bierdel: In Hinblick auf die künftige Entwicklungen: ja. Denn es stehen erstmals EU-Beamte mit Waffen im Abwehrkampf gegen Flüchtlinge an der Grenze. Sie versuchen, diese davon abzuhalten, Europa zu betreten. Das beobachten wir mit Sorge. Weil es - vorerst symbolisch - ausdrückt, dass derlei Abwehr künftig wohl weiter intensiviert werden soll.

STANDARD: Am Evros soll die "Frontex-Eingreiftruppe" aber ganz konkret den Flüchtlingsansturm bewältigen helfen, der die griechischen Behörden derzeit überlastet. Kann das gelingen?

Bierdel: Von einem Flüchtlingsansturm kann nicht die Rede sein. Auf ganz Europa bezogen ist die Zahl Ankommender seit Jahren nicht gestiegen - nur ist der Schauplatz eben jetzt ein anderer. 2007 und 2008 wurde vor Lampedusa menschenrechts- und völkerrechtswidrig abgeriegelt, jetzt hat sich das Geschehen an den Evros verlagert. Denn nach wie vor hat Europa keine Konzepte für Zuwanderung und Asyl. Vielmehr versteift es sich darauf, diese Themen als reine Sicherheitsprobleme zu sehen.

STANDARD: Sie haben selber im Norden Griechenlands gelebt, kennen also die Evros-Grenze, an der Frontex jetzt aktiv ist. Was macht sie für Flüchtlinge so attraktiv?

Bierdel: Man kommt dort im sumpfigen Gelände relativ gefahrlos durch die Flussmäander - wenn man mit dem Boot nicht kentert. Weit gefährlicher ist es ein Stück südlicher. Dort liegen in Flussnähe hunderttausende Landminen. Viele Flüchtlinge sind bereits verstümmelt worden oder gestorben.

STANDARD: Woher kommen diese Minen?

Bierdel: Zum Teil stammen sie noch aus dem Ersten Weltkrieg - in der Region war es der Balkankrieg. Dazu kamen Minen, die in den 1970er-Jahren in Zuge der Zypernkrise zwischen Griechenland und der Türkei verlegt wurden. Trotz internationaler Verträge befinden sich die Sprengkörper dort auch heute noch.

STANDARD: Kann der Frontex-Einsatz die Situation in den völlig überfüllten griechischen Auffanglagern verbessern?

Bierdel: Nein, denn die Rolle von Frontex ist lediglich eine der Perfektionierung technischer Maßnahmen an der Grenze selbst. Den Flüchtlingen in den Lagern könnte nur helfen, wenn sich Europa mit Griechenland solidarisch erklären würde. Wenn andere EU-Staaten prinzipiell bereit wären, Asylwerber aus den Staaten mit EU-Außengrenzen nach Quoten bei sich aufzunehmen. Doch das zeichnet sich derzeit nicht ab.

STANDARD: Wohin entwickelt sich die europäische Flüchtlingspolitik stattdessen?

Bierdel: Hin zu einer Politik der Exterritorialisierung, was heuchlerisch und gefährlich ist. Da mutiert ein Diktator wie Libyens Muammar al-Gaddhafi durch bilaterale Verträge mit Italien zu einer Art Menschenrechtsbeauftragter Europas. Man schickt Flüchtlinge nach Libyen zurück, obwohl man aus den libyschen Flüchtlingslagern Schreckliches hört. Ähnliches droht auch in Griechenland, wenn man die Menschen, die kommen, von dort in die Türkei und noch weiter zurückschiebt. (Irene Brickner/DER STANDARD - Printausgabe, 3.11.2010)