Margaret Atwood
Oryx und Crake

Deutsch von Barbara Lüdemann
€ 24,70/379 Seiten
Berlin Verlag
Berlin 2003.

Foto: Buchcover
Die kanadische Autorin hat einen Hang zur Sciencefiction: Der Report der Magd war sehr erfolgreich und wurde auch verfilmt. Während Atwood in diesem früheren Werk vor allem die Folgen der totalen Kontrolle und eine brutal diversifizierte, fundamentalistische Gesellschaft schildert, begibt sie sich diesmal in ein postapokalpyptisches Szenario.

Die Zivilisation ist zusammengebrochen und zwar nicht aufgrund eines Atomkrieges, sondern - ganz am Puls der Zeit - wegen riskanter Spielereien von Gentechnikern mit Allmachtsfantasien und einer radikalen Klimaveränderung, die die großen Städte untergehen ließ. Eine Art letzter Mensch vegetiert mühselig an einem vermüllten Strand mit mörderischer Sonneneinstrahlung. Jimmy ist nicht gerade eine Geistesgröße und hat eindeutig Erinnerungslücken. Er fungiert als eine Art Oberpriester für eine seltsame Schar humanoider Lebewesen, die mit der kaputten Umwelt offensichtlich besser zurechtkommen als er.

In fiebrigen Rückblenden rekapituliert Jimmy die letzten Tage der Menschheit: Er erinnert sich, wie er als privilegiertes Kind in einem Hochsicherheitscamp aufgewachsen ist, mit genügend Essen und medizinischer Versorgung, während draußen im verbotenen "Plebsland" die Armen, Kranken und Verbrecher hausten. Die Auserwählten standen alle im Sold von mächtigen Biotechnologiefirmen, ihre Sicherheit bezahlten sie mit lebenslanger Gefangenschaft. Jimmys genialer Freund Crake machte sich an das Projekt der Verbesserung des Menschen. Alles was den Planeten ins Unglück gestürzt hat, soll aus dem Erbgut verschwinden.

Mord und Totschlag wegen Eifersucht, Geschlechterkampf? Warum nicht weg damit? Einmal im Jahr Brunftzeit mit unaggressiver Werbung aller Männchen, die sich friedlich ein williges Weibchen teilen und das Problem ist gelöst. Nahrungsmangel, Armut, Hunger, Kindersklaverei? Erst gar keine Agrargesellschaft entstehen lassen, die dann ja doch wieder nur um Land und Ressourcen kämpft! Stattdessen mampfen die verbesserten Menschenmodelle ein bisschen Grünzeug und recyclen ihre Exkremente. Keine Kriege wegen hirnrissiger Religionskonstrukte! Leider sind die freundlichen Wesen dann relativ unintelligent und zu ihrem eigenen Besten nicht fähig, lesen zu lernen oder sich gegen Gefahren zu schützen.

Dafür haben sie Jimmy, der den Auftrag, diese Wesen zu leiten, von seiner toten Freundin übernommen hat. Das ist der eine Handlungsstrang. Leider hat Crake auch nebenbei noch einen fatalen Virus manipuliert und freigesetzt. Der macht den herkömmlichen Menschen ein Ende und katapultiert die Zivilisation zurück an den möglicherweise sowieso unmöglichen Neustart. Mit bösen Visionen vom hemmungslosen Unterhaltungspotenzial des Internets, dem Hochmut der Wissenschaft und dem Zynismus der Macht versehen, ist Atwoods neuester Roman zwar nicht ihr bester, aber immerhin gut für ein paar spannende Stunden. (DER STANDARD, Printausgabe vom 3./4.5.2003)