Saartjie Baartman (Yahima Torres) tanzt für Pariser Aristokraten, da hat ihr Abstieg schon begonnen.

Foto: Viennale

Auf den steilen Rängen eines Vortragssaals sitzen weiße Männer mit ernsten Gesichtern. Sie hören den Ausführungen eines Wissenschafters zu, der über ein Objekt doziert. Das Objekt ist der Körper einer toten schwarzen Frau. Er wird vermessen und buchstäblich zerlegt. Man schreibt das Jahr 1817 - die sterblichen Überreste der Südafrikanerin Sarah "Saartjie" Baartman, die damals in der Pariser Königlich-medizinischen Akademie für Aufsehen sorgen, werden noch bis 1976 in einem Museum ausgestellt bleiben.

Vénus noire erzählt die Geschichte von Saartjie Baartman (Yahima Torres) in Rückblenden. Das Verhältnis zwischen Sehen und Gesehenwerden hat er mit den ersten Einstellungen ganz eindeutig als hierarchisch etabliert, weitere Attribute - Geschlecht, Hautfarbe, Klasse - sind entlang dieses Verhältnisses verteilt, die Schärfe, in der sie sich auswirken, wechselt.

Die lebende schwarze Frau tritt zum ersten Mal auf einem Londoner Jahrmarkt 1810 in Erscheinung. Ein volkstümliches Ambiente, es ist eng und laut. Das Publikum johlt und kreischt, wenn die "Hottentotten-Venus" aus ihrem Käfig gelassen wird und zu tanzen beginnt. Das Sehen geht umstandslos in ein Angreifen über. Hinter der Bühne ist Saartjie eine andere, der erniedrigende Akt wird als Performance erkennbar, an der sie zumindest Teilautorenschaft geltend macht.

Trotzdem ist sie der besagten Hierarchie unterworfen: Ihr Impresario, ein Bure, gibt letztlich vor, wie weit sie zu gehen und was sie zuzulassen hat. Dafür stattet er sie mit gewissen Annehmlichkeiten aus. Und er trägt auch Sorge, dass der Alkohol, mit dem Saartjie sich betäubt, nicht zur Neige geht. Ausgerechnet ein Gerichtsprozess, den wohlmeinende britische Bürger gegen den Buren und dessen Ausbeutung von Saartjie anstrengen, bringt dieses labile Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnis zum Kippen.

Abdellatif Kechiche, aus einer tunesischen Familie stammender, inzwischen 50-jähriger französischer Filmemacher, hat mit Vénus noire zweifellos sein bisher düsterstes Werk gedreht. Seine beiden ersten Spielfilme, La faute à Voltaire (2000) und L'esquive (2003) waren von heiterer Leichtigkeit geprägt. Bereits sein voriger, das Familiendrama Couscous mit Fisch (2007), hatte dagegen eine pessimistische Note. Sein erster historischer Stoff entwickelt eine beklemmende Dynamik, die auch dadurch entsteht, dass am schlechten Ausgang der Geschichte nicht zu rütteln ist.

Nach der Premiere in Venedig wurden außerdem Vorwürfe laut, die naturalistische Darstellungsweise würde seine Protagonistin ein weiteres Mal objektivieren, den Blicken aussetzen, bloßstellen. Dass sich die Zuseher im Angesicht von Saartjie Baartman jedoch genau mit dieser Problematik - und ihrer eigenen Position, auch im Kino - auseinandersetzen müssen, ist auch kein geringes Verdienst dieses Films. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Oktober/1. November 2010)