Idylle für die Ewigkeit: Gustave Caillebottes „Seine à Argenteuil" (5-7 Mio. Dollar).
Foto: Christie's

Foto: Christies

Globaler Dorftratsch, der dem Management in den letzten Tagen wohl den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Selbst wenn Psychologen mittlerweile wissenschaftlich belegten, dass solches Paniksekret die Empathie-Ressourcen im Gehirn der Mitmenschen aktiviert - der hochkarätigen Klientel von Christie's ist das wurscht.

Unsicherheiten bei Einkäufen in der Preisklasse 3-Millionen-Euro-aufwärts sind für das Geschäft kaum förderlich. Im Vorfeld der für kommende Woche in New York anberaumten Impressionist & Modern Art Sales aber mit Sicherheit entbehrlich.

Anfang September deckte die Süddeutsche Zeitung den größten Fälschungsskandal Deutschlands auf: Über die sogenannte Sammlung Jägers - die es tatsächlich niemals gab - waren über Jahre rund 30 gefälschte Werke deutscher Expressionisten in den Markt geschleust worden. Wie auch der Standard berichtete (11.9., „Entlarvende Kehrseite"), wurden nicht nur anerkannte Gutachter, sondern auch Auktionshäuser wie Lempertz (Köln) oder eben Christie's (London) getäuscht.

Campendonk-Spezialistin

Bei letzterem wechselten zwei Campendonks mit Jägers-Provenienz den Besitzer: Zwar hatte das Auktionshaus sowohl für Mädchen mit Schwan (1995: 110.000 Euro) als auch für Landschaft mit Pferden (2006: 503.205 Euro) zusätzlich die Expertise der Campendonk-Spezialistin Andrea Firmenich eingeholt, vermutlich dürfte es sich bei beiden Bildern aber um Fälschungen handeln. Die damaligen Käufer mussten kontaktiert, die Geschäfte vermutlich rückabgewickelt werden.

Nach sechs Wochen glaubte das Impressionist-Department die Sache medial ausgestanden zu haben. Ein Irrtum. Über den Observer setzte der Skandal zur Landung in den britischen Medien an. Am 17. Oktober veröffentlichte The Guardian eine Zusammenfassung des Skandals, innerhalb von 24 Stunden griffen asiatische TV-Stationen die Story auf.
Und das brauchte Christie's wohl wie Fußfäule. Nicht nur, aber auch angesichts der im Angebot stehenden Werte. Allein im Zuge des Evening Sales (3._11.) will Christie's für 85 Lots etwa 200 Millionen Dollar realisieren, mit High Potentials wie Juan Gris' kubistischer Komposition Violon et guitare von 1913, taxiert auf 18 bis 25 Millionen Dollar.

Ein Skandal mit Folgen?

Zuletzt waren in diesem wertstabileren Segment der Impressionisten und Moderne gerade Nationen aus dem asiatischen Raum besonders aktiv. Ob man deren Vertrauen halten konnte, wird sich zeigen. Selbst wenn es sich bei dem Jägers-Coup um einen Einzelfall handelt: Es geht um das Grundproblem, dass sogar erfahrene Experten in die Irre geführt werden konnten. Und das ist nicht gerade vertrauensbildend.

Anfang der Woche sorgte dann auch noch der Emir von Katar für Nervenkitzel, indem er seit Monaten immer wieder lancierten Gerüchten über einen Christie's-Verkauf neue Nahrung gab: Via Financial Times bekundete er Interesse an einer Übernahme des Auktionshauses. Erst nach drei langen Tagen ließ François Pinault über seine Privatholding Artemis die Welt wissen, dass weder ein konkretes Angebot vorliege noch Verhandlungen angelaufen wären. (kron/ALBUM/DER STANDARD - Printausgabe, 30./31. Oktober/1. November 2010)