Ursprünglich kommt der Liptauer aus dem Gebiet der Hohen Tatra.

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"Denn es zählt zu den schönsten Dingen, wenn man nach einem schweren Tag darauf verzichtet, den Herd anzuheizen und kalten Braten, ein Stück Wurst, ein paar Schnitten Brot, einen Tiegel Liptauer, ein paar Radieschen und Paradeiser in den Heurigenkorb packt und hinauszieht, um zu sehen, 'wo der Herrgott den Finger herausstreckt'. So nannte man es, wenn an den Hauerhäusern der grüne Tannen- oder Föhrenbuschen, an einer Stange hängend, ausgesteckt war."

Nicht nur für Wolf Neuber, der 1975 diese Zeilen in seiner Rezeptsammlung "Die k. u. k. Wiener Küche" schreibt, gehört der Liptauer als unabdinglicher Teil zum Wiener Heurigen. In Kochbüchern zur Wiener Küche findet sich der Aufstrich genauso oft wie in Lexika über die österreichische Gastronomie. Für viele Heurigenbesucher ist der Liptauer nicht nur der Inbegriff einer typisch österreichischen Jause vom Heurigenbuffet, sondern neben dem Wein oft auch Messlatte für die Qualität des Heurigen.

Als "typisch wienerisch" vereinnahmt

Und doch stammt der beliebte Brotaufstrich gar nicht aus Wien, sondern kam als "Zuagraster" in unsere Region. Denn ursprünglich kommt der Liptauer aus dem Gebiet der Hohen Tatra, dem im Norden des ehemaligen ungarischen Königreichs gelegenen Komitats Liptau, das heute in der Slowakei liegt. Dieser Teil der nördlichen Mittelslowakei trägt nach wie vor den Namen Liptau (slowak. "Liptov") und ist eine beliebte Tourismusregion geworden, wo vor allem viele Slowaken und Polen ihre Urlaubstage verbringen. Bereits zur k. u. k. Zeit galt die Region als eine der schönsten im Königreich Ungarn, und seit jeher ist sie für ihre Käseproduktion berühmt.

Dabei ist es nicht unwesentlich, dass im Österreich vor dem Ersten Weltkrieg die gesamte k. u. k. Küche als "Wiener Küche" bezeichnet wurde. Im Laufe der Zeit kamen viele kulinarische Spezialitäten der Kronländer und des Königreichs Ungarn wie der Liptauerkäse in die österreichische Reichshauptstadt. In Wien angekommen wurden dann einige dieser Neuankömmlinge, sofern sie Gefallen fanden, schließlich als "typisch wienerisch" vereinnahmt.

Altösterreichische Vielvölker-Küche

In seinem "Kronländer Kochbuch" setzt sich Christoph Wagner intensiv mit der altösterreichischen "Vielvölker-Küche" auseinander und versucht, "die Küchen der unterschiedlichen Ethnien, die im Laufe der Jahrhunderte in den verschwommenen Überbegriff 'Wiener Küche' einflossen, wieder nach Regionen und Landstrichen auseinanderhalten zu können." So schreibt Wagner auch über die ursprüngliche Heimat des Liptauerkäses und deren Bevölkerung, die damals sehr viel Brot aß - und "dass es zum Brot mitunter auch Liptauer Schafkäse gab, darf angenommen werden."

Über das Prozedere der Liptauer Käseherstellung bezieht sich Wagner auf einen alten heimatkundlichen Bericht, der beschreibt, dass der Schäfer in der "Koliba", einer Art Schäferhütte, frühmorgens die Schafe melkte, danach die frische Milch in einem Kupferkessel aufkochte und Lab hinzugab, wodurch sie topfig wurde. Den zusammengeballten Topfen band er dann in ein Leinentuch, das er über einer Schüssel aufhängte, damit die Molke abrinnen konnte. Nach circa vierundzwanzig Stunden war der Schafstopfen fertig. Daraus bereitete man dann verschiedene Käsearten, unter anderem den oberländischen Schafstopfen namens Brimsen (slowak. "brindza").

Verschiedene Varianten

Dieser Original-Liptauer hat also nicht viel mit dem uns bekannten, unter anderem mit Paprika gewürzten Heurigen-Brotaufstrich zu tun. Das "Gastronomische Lexikon" aus dem Jahr 1908 verrät, dass der Käse zu jener Zeit in kleinen Holzfässchen verkauft und entweder allein oder mit Butter vermischt gegessen wurde. Der uns heute geläufige Liptauer wurde damals noch "garnierter Liptauer" genannt.

Mittlerweile gibt es in den Supermarktregalen und an Heurigenbuffets verschiedenste Liptauer-Varianten, viele davon werden nicht mit dem ursprünglichen Schafsfrischkäse (Brimsen), sondern mit Topfen hergestellt, auch die übrigen Zutaten und Gewürze variieren stark. Manche bereits sehr vom Originalrezept entfernte Aufstriche werden dessen ungeachtet von den Herstellern oft "nach Liptauer Art" genannt.

Zuagraster oder Österreicher

Ob der Liptauer nun etwas typisch Wienerisches ist oder nicht, bleibt Ansichtssache. Bei genauer Betrachtung seiner Herkunft und der strengen Meinung, ein "Zuagraster" kann hier nie wirklich "heimisch" werden, muss der Liptauer eindeutig ein altungarischer beziehungsweise slowakischer Käse bleiben.

Nur wenn man "das Wienerische" an sich als einen Mix unterschiedlichster kultureller Einflüsse begreift, und sich bewusst macht, dass alles "Österreichische" Ergebnis einer gegenseitigen Beeinflussung vieler verschiedener Ursprünge ist, kann man den Liptauer auch weiterhin getrost als typisch österreichische Spezialität bezeichnen. (daStandard.at/29.10.2010)