Im Innenhof des Altenheims Seegasse liegt der Friedhof Roßau.

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Er wurde erst in den 80er-Jahren wieder hergestellt und neu eröffnet.

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Die Grabsteine lassen sich bis ins frühe 16. Jahrhundert datieren.

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Viele Grabsteine liegen noch am Zentralfriedhof, wo sie vor den Nazis in Sicherheit gebracht wurden.

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Eine weitere Sanierung ist dringend notwendig.

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Durchquert man die bunte Eingangshalle des Altenheims Seegasse, betritt man eine andere Welt. Im Hof des Gebäudes im neunten Wiener Gemeindebezirk befindet sich eine jüdische Begräbnisstätte. Der Friedhof Rossau, auf Grund seiner Lage meist Jüdischer Friedhof Seegasse genannt, ist der einzige mit ausschließlich hebräischen Inschriften auf den Grabsteinen. Hier wurden zwischen 1540 und 1783 die Mitglieder der jüdischen Gemeinden begraben.

"Der Friedhof in der Seegasse ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof in Österreich, von dem die Wissenschaft weiß", berichtet Tina Walzer. Die Historikerin hat unter anderem das Weißbuch jüdische Friedhöfe verfasst, in dem sie sich mit Pflegezustand und mit den Erfordernissen der Sanierung befasste. Der Friedhof ist aber nicht nur ein Ort des Gedenkens, sondern auch der Geschichtsvermittlung, hebt Walzer den Wert des Friedhofs hervor. Denn im Zuge der Ringstraßenverbauung wurden viele alte Gebäude abgerissen und darunter jüdische Grabsteine wieder gefunden. Diese Grabsteine sind als Gedenktafeln im nicht tragenden Teil der Mauer des Friedhofs Seegasse eingelassen und dadurch noch heute für alle sichtbar.

"Gassel allwo der Juden Grabstätte"

Der Friedhof umfasst eine Fläche von etwa 2.000 Quadratmeter. Am Ort des Pensionistenheims stand früher ein jüdisches Siechenhaus. Die Seegasse hieß 1629 "Gassel allwo der Juden Grabstätte", ab 1778 Judengasse. Seit 1862 ist sie die Seegasse, benannt nach einem ehemals hier befindlichen, 1415 als See urkundlich erwähnten Fischteichs.

Im 17. Jahrhundert wurde die zweite jüdische Gemeinde gegründet, die bald unter Schikanen leiden musste: Nach einigen Katastrophen, unter anderem einem Brand, der einen Großteil der Wiener Hofburg verwüstete, musste Leopold I. die österreichische Bevölkerung "bei Laune halten". 1670 wurde daher die zweite jüdische Gemeinde vertrieben. Im Ausweisungspatent vom Februar 1670 hieß es, dass auf Befehl des Kaisers alle "[...] die Juden insgesamt, keinen davon ausgenommen, von hinnen und aus dem ganzen Lande Österreich wegzuschaffen" seien. Das ehemalige Wohngebiet "am Unteren Werd" wurde zur Leopoldstadt. "Ein Teil wanderte nach Berlin aus, der größere Teil jedoch nach Ungarn", sagt Walzer.

1670: Juden vertrieben, Friedhof trotzdem erhalten

Die zweite jüdische Gemeinde wusste jedoch schon, dass sie vertrieben werden würde und versuchte daher die Gräber zu erhalten. Ein jüdischer Kaufmann hinterlegte einen hohen Betrag, weshalb die Stadt einwilligte, den jüdischen Friedhof zu erhalten. Der Ort durfte daher bis 1783 weiter als Begräbnisstätte genutzt werden. Am 3. Dezember des genannten Jahres wurde der letzte Tote beerdigt. Danach wurde es aus hygienischen Gründen in ganz Österreich verboten, zwischen hohen Häusern Menschen zu begraben.

1783: Josef II. legt Friedhof still

Unter Josef II wurde der Friedhof 1783 stillgelegt. Für die Jüdische Gemeinde wurde stattdessen ein neuer Friedhof außerhalb des sogennanten "Linienwalls" im Vorort Währing angelegt. Auf Grund der jüdischen Religionsgesetze blieb der Friedhof in der Seegasse aber unangetastet, während christliche Friedhöfe aufgelöst und verbaut wurden. "Der jüdische Glaube besagt, dass sich die Toten aus ihren Gräbern erheben werden. Der Körper muss daher unversehrt bleiben. Nur der Tote ist Eigentümer seines Grabes", erklärt Walzer. 60 Zentimeter um die Gebeine herum darf ein Grab nicht angetastet werden. "Archäologie kommt hier nicht in Frage", sagt die Historikerin.

Bis zur Zeit des Nationalsozialismus blieb der Friedhof in Besitz der israelitischen Kultusgemeinde. Ab März 1938 wurde das gesamte Liegenschaftseigentum durch die Nazis geraubt und durch die nationalsozialistische "Vermögensverkehrsstelle" verwaltet. Adolf Eichmann, Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Eichmannreferats, verkaufte das geraubte Eigentum der Kultusgemeinde, um damit den Ausbau des "Durchgangslagers" Theresienstadt zu finanzieren, von dem aus zehntausende Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden.

NS-Zeit: Grabsteine am Zentralfriedhof versteckt

Einigen mutigen Wiener Juden gelang es dennoch einen Teil der schweren Grabsteine bei Tor 4 am Wiener Zentralfriendhof zu verstecken. "Das Wissen darüber ging jedoch verloren. Die Steine blieben viele Jahre verschwunden", sagt Tina Walzer. Denn die involvierten Juden wurden vertrieben oder ermordet. Der Friedhof war bis die 80er Jahre eine leere Wiese, zeitweise ein Spielplatz für eine Schule.

Ein Zufall veränderte Anfang der 80er-Jahre noch einmal die Geschichte des Friedhofs Seegasse: Ein Lastwagen blieb bei Tor 4 stecken, der Steinmetz wurde dadurch auf die barocken Grabsteine aufmerksam, die seit Jahrzehnten unter dem Erdreich lagerten. In der Folge wurde auch ein auffälliger Grashügel entdeckt, unter dem weitere Steine versteckt lagen. 280 der 931 Steine wurden wieder an ihren Bestimmungsort zurücktransportiert, der dank der Bestandspläne, die Bernhard Wachstein in den 1910er Jahren erstellt hatte, genau rekonstruiert werden konnte. Am zweiten September 1984 wurde der Friedhof Rossau neu eingeweiht.

Verwitterung ausgesetzt

Der Rest der Steine liegt jedoch noch heute unter der Grasnarbe am Zentralfriedhof verborgen. Das Geld, um auch den restlichen Bestand an einen würdigen Ort zu stellen und zu pflegen, wurde bislang von der Stadt Wien nicht aufgebracht. "Keiner hat sich bis jetzt laut genug eingesetzt", bedauert Walzer.

Auch am Friedhof Seegasse liegen noch einige Grabsteine auf der Erde, notdürftig durch Planen geschützt. Die unsachgemäße Lagerung bleibt nicht ohne Folgen, wie die Expertin schildert: "Es entstehen Risse, die Schrift platzt auf. Die Steine sind in keinem guten Zustand." Sie ergänzt: "So wie sie hier seit 20 Jahren liegen, werden sie zerstört." Die gute Nachricht sei, dass die Stadt Wien erst kürzlich beschlossen hat, mit der Sanierung fortzufahren.  (Julia Schilly, derStandard.at, 30. Oktober 2010)