Hannes Swoboda (SPÖ) und Christine Oppitz-Plörer ("Für Innsbruck") waren sich im Gespräch mit Gerfried Sperl einig, dass Städte eine geregelte Zuwanderung brauchen - und dafür auch ein qualitativ hochwertiger Wohnbau benötigt wird.

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Die neue Bürgermeisterin von Innsbruck, Christine Oppitz-Plörer, diskutierte mit dem EU-Abgeordneten Hannes Swoboda über die Bedeutung des Wohnbaus für die Zuwanderung und die Integration. Gerfried Sperl moderierte.

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STANDARD: Frau Oppitz-Plörer, Herr Swoboda, ist für Sie der Wohnbau Attraktion oder Nebensache?

Oppitz-Plörer: Für eine Stadt im wirtschaftlichen Wettbewerb muss man sagen: Wohnbau ist wichtig, wichtig, wichtig. So wie "Lage, Lage, Lage" bei den Immobilien. Davon profitieren wir als Stadt, weil der Zuzug in die Stadt wieder größer wird, und die Stadtflucht, dass alle aufs Land gehen, Gott sei Dank vorbei ist.

Swoboda: Wohnbau ist sicher keine Nebensache. Das haben die letzten Wahlentwicklungen, nicht nur in Wien, gezeigt. Ohne das soziale oder kulturelle Element könnte Wohnen zur Nebensache werden, allerdings zu einer gefährlichen Nebensache. Mit dem entsprechenden Wohnumfeld, mit der entsprechenden Mischung und Konfliktbeilegung - Wohnen heißt heute auch oft Konflikte - wird es nicht gehen. Es geht nicht nur ums Wohnen, sondern um die Frage: welches Wohnen?

STANDARD: Innsbruck hat auch einen gewichtigen Ausländeranteil. Wie nehmen Sie das wahr, als Problematik oder als Chance?

Oppitz-Plörer: Ich war in Innsbruck lange für den Bereich Jugend, Schulen und Familien zuständig, habe dort den Migrationsbereich aufgebaut und das Thema vor zwei Jahren in die Stadtplanung und Stadtentwicklung mitgenommen, weil es dort dazugehört. Ich beschäftige mich auch mit den objektiven Zahlen des Migrantenanteils und der Wahrnehmung der Menschen. Ein Migrant kann hier geboren sein und ins Gymnasium gehen; wenn das Kind "Aisa" heißt, gilt er als Migrant. Und da haben wir festgestellt, dass in Stadtteilen mit höherem FP-Wähleranteil Migranten viel mehr wahrgenommen werden, als es objektiv der Fall ist. Ein Beispiel: Wilten ist ein alter Stadtteil mit großen Wohnungen und viel Altbau und hat einen viel höheren Anteil an Migranten als das olympische Dorf. Aber in den Medien und in den Köpfen ist im olympischen Dorf das Problem. Das macht nachdenklich.

STANDARD: Also ein Problem?

Oppitz-Plörer: In den Schulen gibt es mit den bildungsfernen Schichten Schwierigkeiten, aber nicht im Arbeitsmarkt. Da gibt es keine Verdrängung. Für die Firmen bedeutet das in Innsbruck genauso wie anderswo: Der Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften ist sehr willkommen. Wir brauchen sie in vielen Bereichen: vom Akademiker bis hin zu den Pflegeberufen.

STANDARD: Herr Swoboda, Sie haben einst als Wiener Planungsstadtrat eine Studie machen lassen über das kommende Bevölkerungswachstum und haben jetzt in einem Interview gesagt, dass die damaligen Erwartungen bei weitem übertroffen wurden. Wie, glauben Sie, geht es weiter?

Swoboda: Wir haben damals in der Stadt Wien in der Umbruchzeit vor Beginn des Verfalls des Ostblocks Szenarien entwickelt. Da gab es ein sogenanntes São-Paulo-Szenario. Das war das Schlimmste, was wir uns vorstellen konnten, und das wurde übertroffen. Das hängt aber auch zum Teil mit einer höheren Geburtenrate und der Binnenwanderung aus dem Umland zusammen. Die Ausländerzuwanderung war weniger stark als gedacht, und man muss dabei immer wieder unterstreichen, dass die größte Gruppe aus Deutschland kommt und nicht aus den islamischen Ländern. Es war uns klar, dass Zuwanderung an den Wohnbedarf hohe Anforderungen stellt, und wir haben damals die Bauleistung stark erhöht. Es gab damals viel Kritik, auch von den eigenen Mitarbeitern, die eine gemächlichere Entwicklung wollten. Aber eine alternde, schrumpfende Stadt schafft auch große Probleme. Eine ältere Bevölkerung ist konservativer, eine jüngere dynamischer. Die will nicht nur bewahren, sondern kann sich auch Alternativen vorstellen. Daher ist auch eine gemäßigte, einigermaßen kontrollierte Zuwanderung oder eine höhere Geburtenrate auch gesellschaftspolitisch wichtig.

STANDARD: Und welche Rolle spielt dabei der Wohnbau?

Swoboda: Der macht die Städte insbesondere für qualifizierte Kräfte attraktiv. Erstens für die Leute, die in den Städten wohnen, und nicht abwandern sollen. Und zweitens für jene, die wir in den nächsten Jahren brauchen, um den Geburtenrückgang auszugleichen. Damit sie mich nicht missverstehen: Die wenig qualifizierte Zuwanderung kommt auch von sich aus her. In Deutschland gibt es schon jetzt einen massiven Ingenieursmangel, und langsam auch in Österreich. Gewisse Dinge werden gar nicht mehr produziert, obwohl sie nachgefragt werden, weil es keine qualifizierten Leute gibt. Solche Leute brauchen einen entsprechenden Wohnraum und ein entsprechendes Umfeld. Da spielt die Wohnbaupolitik eine entscheidende Rolle.

STANDARD: Auch Innsbruck ist eine wachsende Stadt. Was erwarten Sie vor dem Hintergrund eines wachsenden Arbeitsmarktes, gerade in Bezug auf Standort und Wohnbau, von der Bundespolitik?

Oppitz-Plörer: Da erwarte ich mir ganz wenig. Die Stadt ist sehr autark und autonom. Wien ist da ganz anders zu sehen, weil es eben Bundeshauptstadt ist und große Entwicklungsgebiete hat, die man auch über drei, vier Jahrzehnte brachliegen lassen kann, um für eine spätere Bebauung und Entwicklung Möglichkeiten zu haben. In Innsbruck oder Salzburg kann jeder Quadratmeter nur einmal vergeben werden.

STANDARD: Was muss die Regierung tun oder vermeiden, damit sie Städten wie Innsbruck oder Wien nicht schadet?

Oppitz-Plörer: Wir brauchen einmal ein Budget, damit wir wissen, woran wir sind. Dann kommen die ökologische Seite und die Frage des Zusammenlebens. Gemeinden und Städte sind jene, die in Wien getroffene Entscheidungen zur Kenntnis nehmen und dann damit umgehen müssen. Die Menschen sind nun mal da, und das Auseinanderdriften zwischen denen in bildungsferneren Schichten und den wenigen, die man hochqualifiziert bekommt, wird immer stärker spürbar. Das betrifft nicht nur die Wohnstruktur, das wirkt auch in die Gesellschaft hinein. Es wird zu selten mutig gesagt: "Wir brauchen diese Leute."

Swoboda: Was mich an der öffentlichen Budgetdebatte besonders stört, ist, dass nie über Prioritäten geredet wird. Und eine Priorität ist sicherlich die Integrationsfrage: das Zusammenleben zu verbessern und daraus auch eben entsprechende positive Elemente für die Demokratie zu entwickeln. Dazu gehören sicherlich Ausbildung und Bildung - und auch das Wohnen, wobei das Geld, das Ländern und Gemeinden vom Bund dafür zur Verfügung gestellt wird, auch verwendet werden soll. Ob für Neubau oder Sanierung, das kann ruhig flexibel sein. Aber die Integration muss dabei immer ein Hauptaspekt bleiben: Was kann die Wohnbaupolitik und die Wohnbautätigkeit dazu beitragen, das gesellschaftliche Zusammenleben zu verbessern? Das ist auch eine Aufgabe der Gemeinden, aber auch dazu brauchen sie Geld, wenn sie eine Parkbetreuung oder eine Konfliktberatung im Wohnhaus haben wollen. Das Wesentliche ist: Was ist uns das Wohnen wert, um unsere Probleme zu lösen? Und wie können wir vorausschauend planen, wie damals in Wien? Denn die Zuwanderung wird es immer geben, in der EU ist sie gar nicht zu stoppen. Man muss hier mit klaren Zielsetzungen vernünftig vorgehen, die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen und die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Da wird einfach zu wenig vom Bund getan. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.10.2010)