Die Kinder sind energiegeladen und schmieden Zukunftspläne. Die HIV-Waisen in Phnom Penh wurden von Marie- Sophie Attems und Jana Steininger zwei Monate lang liebevoll betreut.

Foto: Standard/Marie-Sophie Attems

Phnom Penh - "Ma! Ma!", schreien die kleinen Khmer-Kinder, als Jana Steininger und ich, beide Schülerinnen, das erste Mal Group Home II in einer Vorstadt von Phnom Penh betreten. Mit ihren großen mandelförmigen Augen schauen sie uns voller Freude und Neugier an.

Auf den Gehsteigen vor dem Group Home verkaufen die Leute frische Kokosnüsse und Früchte. Hunderte Motos fahren auf den Straßen in alle Richtungen, und jeder will einen Passanten in seinem Tuk-Tuk mitnehmen. Von einer Sekunde auf die andere fängt es an, in Strömen zu regnen, die Luft wird heiß und schwül. Mönche spazieren mit ihren orangen Tüchern und Sonnenschirmen auf der Straße umher und bereiten den Einwohner mit ihren Gebeten Freude. Das ist Kambodscha, ein Land, das uns sofort in seinen Bann gezogen hat. Es ist ein Land, dass die Narben der Vergangenheit trägt und gerade dabei ist, sich von Tagen des Horrors zu erholen. "Forgive and forget", wird der neuen Generation eingeredet.

Wie viele andere Jugendliche wollten auch wir mit einer NGO in einem Entwicklungsland arbeiten. Am Anfang stand die Frage "Wohin und mit welcher Organisation?" Denn es gibt unzählige Institutionen, die alle etwas anderes anbieten und: Für fast alle muss man ein Vermögen ausgeben, um helfen zu dürfen. Bald erübrigte sich diese Frage, da eine Freundin die Organisation "Magna - Children at Risk" bereits kannte. Diese Organisation wurde von den Slowaken Denisa Augustínová and Martin Bandzák 2001 gegründet und hat mehrere derartige Stationen in Haiti, Indien, Kenia, Myanmar, Nicaragua, im Kongo und in Vietnam. Wir selbst mussten nur den Flug und die Unterkunft organisieren und bezahlen, die Arbeit war "umsonst", so wie es sich gehört. Die zweimonatige Mitarbeit vor Ort gab uns mehr, als es eine Bezahlung jemals könnte. Eindrücke und Erfahrungen, die unersetzbar sind.

Wir hatten die Aufgabe, morgens in einem "Tutoring Center" mit Kindern zu arbeiten, die von HIV betroffen sind. Die meisten waren Waisen oder Halbwaisen und leben in "Group Homes". Wir unterrichteten Englisch, verbrachten Zeit mit ihnen und lernten dadurch die Kultur der Khmer kennen. Die Kommunikation war zwar nur eingeschränkt möglich, doch wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Die Kinder wissen über ihre Krankheit Bescheid, lassen sich dies jedoch nicht anmerken. Sie sind energiegeladen und lustig, schreiben ihre Hausaufgaben und gestalten Zukunftspläne, wie jedes andere Kind es auch machen würde.

Das begrenzte Wissen, welches wir als Volontäre mitbrachten, gaben wir an die Kinder weiter, so wie eine große Portion Liebe. Viele wollten einfach nur beachtet werden oder wünschten sich jemanden, der ihnen zuhört. Als Waisenkind wächst man in einer Masse mit anderen auf und freut sich darüber, wenn sich mal jemand für einen alleine interessiert. Genau das taten wir. Wir versuchten, so gut es ging, uns die Namen aller Kinder zu merken, und es dauerte nicht lange, da hatten wir die Kinder in unser Herz geschlossen. Wir wussten, wer eher "schlimm" war, wer sich schüchtern verhielt, schnell zu weinen begann, wer Probleme beim Lernen hatte, wer viel kuscheln wollte, und auch, wer Tänzerin, Arzt oder Künstler werden wollte.

Narben der Vergangenheit

Wir wussten über ihre Vergangenheit Bescheid und wie sie in das Heim kamen. Manche waren dem Tod schon einmal entkommen und waren jetzt so gesund wie noch nie. Andere, wie Sothy, sind nicht ohne Narben davongekommen. Er hatte Meningitis und ist jetzt taub und fast blind. Auch mit ihm verbrachten wir viel Zeit, um ihn kennenzulernen.

Die Nachmittage verbrachten wir in der Pädiatrie des Spitals in Ta Khmao, einer Vorstadt von Phnom Penh. Wir halfen bei einer wissenschaftlichen Arbeit, eine Database der HIV-Patienten zu erstellen. Wir hatten dabei nie das Gefühl, unterfordert zu sein. Im Gegenteil: Wir hatten reichlich Arbeit und freuten uns über die Freizeit, um mehr von diesem eindrucksvollen Land zu entdecken.

Wir wissen, dass wir keinesfalls die Welt gerettet oder das Leben aller Waisenkinder verändert haben. Doch wir haben einen Anfang gemacht und so viel getan, wie man als Jugendlicher nur tun kann. Denn man lernt schnell, dass es nicht um das gesamte Bild, sondern um jedes kleine Detail geht. Wenn man auch nur einem Menschen eine Freude bereiten kann, macht das bereits einen Unterschied: Denn dann gibt es eine Person mehr, die glücklich ist. (Marie-Sophie Attems, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.10.2010)