Üblicherweise starten parallel zur Viennale nicht allzu viele Filme - und dann vor allem komplett unterschiedliche Produktionen. So dürfte die Schnittmenge zwischen Besuchern des Wiener Filmfestivals und denen von "Jackass 3D" nahe null sein. Nunmehr also mit Brillen zu konsumieren sind die mit Ekelschauder und Schadenfreude kokettierenden Mutproben und Johnny Knoxville, Steve-O und Konsorten; 3D ist weniger Effekt-Plus als zu erwarten. Die neue Subfirma "MTV Films" produzierte die von Jeff Tremaine inszenierte Nummernrevue der Exponenten einer Dekade an dauerpubertärer Lärmigkeit des künftigen Pay-TV-Senders.

 

Foto: MTV Films

Doch dicht gedrängt sind diesen Herbst die Kinostarts, und so startet mit "R.E.D. Älter. Härter. Besser." auch eine prototypische "Guilty Pleasure" für Filmfreunde. War es schon beim letzten Stallone ("The Expendables") komplett albern, Fragen nach Helden-Glaubwürdigkeit aufzuwerfen, so dreht Regisseur Robert Schwentke Action-Kaskaden noch konsequenter in Richtung Komödie. Bruce Willis darf sein Schmunzeln einsetzen, wenn er einen in ein Killerkomplott schlitternden pensionierten CIA-Agenten gibt; seine Buddies John Malkovich (als Paranoiker) und Morgan Freeman (ganz Old School) sowie Helen Mirren assistieren.

 

Foto: Concorde

Eine um Stimmigkeit im Detail bemühte und dafür auch viel gelobte Hommage an eine Epoche der Hochkultur ist Richard Linklaters bereits 2008 entstandener "Ich & Orson Welles". Er führt in die schillernde Sphäre des New Yorker Bühnenviertels der 30er Jahre, als der nachmalige Kino-Wunderknabe durch eine im Italien Mussolinis angesiedelte "Julius Caesar"-Produktion Furore machte. Die ausgebreiteten Feinmechanismen des Theaterbetriebs jener Zeit ergeben den eigentlichen Gewinn, ein loses Dreiecksverhältnis zwischen einem Broadway-Novizen (Zac Efron, li.), Orson Welles (Christian McKay mit ausgetüftelter Verkörperung) und einer aufstrebenden Kollegin (Claire Danes) ergeben das Spielfilm-Storygerüst.

 

Foto: Warner

Freier und spielerischer geht Joann Sfar ein Großmeister-Porträt mit "Serge Gainsbourg, vie héroïque" an. Der deutsche Titel spendierte den Truffaut'schen Zusatz "Der Mann, der die Frauen liebte" und hätte ihn auch auf "... wenn er nicht gerade soff, kettenrauchte oder geniale Lieder komponierte" ausdehnen können. Sfar, bekannter Comic-Zeichner, hatte keine Scheu, auch des Chansonniers überlieferte Innensicht und Fantasien ins Bild zu rücken, wie sich ein kleiner ostjüdischer Junge ein rüpeliges Alter Ego "La Geule" ausdachte, an das er gegen seinen zu frühen Tod 1991 hin wohl ein wenig zu sehr glaubte. Nicht, dass eine simplifizierte Pop-Bio herauskam - auf die künstlerische Verwurzelung von Gainsburg, der eigentlich Maler werden wollte, im quirligen wie engen Chanson- und Vaudeville-Milieu im Paris der 40er und 50er wird nicht vergessen, ...

 

Foto: Filmladen

... und schwungvoll-originell werden auch die großen Star-Jahre der 60er aufbereitet: Vielseitiger Komponist und Texter und darin heftiger Workaholic, im Auftreten gern mal patzig und voll spröden Lümmel-Charmes; alles soweit weithin bekannt. Jedenfalls inspirierte Gainsbourgs Persona den Film und vor allem seine Mitwirkenden zu einiger Spiel- und Szenenfreude, allen voran den Theaterschauspieler Eric Elmosnino in der Titelrolle oder etwa Laetitia Casta als Brigitte Bardot. Die französischen Sixties, ungebrochen immer wieder mal très chic, gehören ohnedies ebenso immer wieder mal gründlich neu beleuchtet, um klemmige Ansätze à la Godard oder die (pro oder contra) Fixierung auf 1968 auch als solche zu erkennen.

Foto: Filmladen

Zwei Dokumentationen starten: Eines der bizarrsten Kapitel der Kulturgeschichte des letzten Jahrunderts, als in den 1970ern Scharen von europäischen Wohlstandsbürgern in ersatzreligiöser Suche nach "Spiritualität" sich der Sannyasin-Bewegung des Guru Bhagwan Shree Rajneesh anschlossen, rollen die schweizer Regisseure Sabine Gisiger und Beat Häner in "Guru - Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard" auf. Gut, christliche Verzichtsethik erhielt als Gegenmittel "freie Liebe" und fernöstliche Heilslehren - und dann? Anhand von Ashram-Archivalien und Gesprächen mit zwei Insidern wird rekonstruiert, wie hochidealistische Ansätze (unausweichlich?) in einen korrupten Sumpf kippten.

 

Foto: Verleih

Und in "#unibrennt" wurde aus rund 900 Stunden Material eine ungefähre Chronologie der im Zuge der Audimax-Besetzung entstandenen österreichischen Bildungsprotestbewegung des Wintersemesters 2009 kollektiv von der AG Doku und der coop99 erstellt, von ihrem kometenhaften Aufstieg bis zum langsamen Versickern: Aufnahmen von Festen, Demos und Benefiz-Konzerten, aufmunternte Worte von Passanten wie von prominenten Autoren. Auch wenn ein Besetzungs-Revival unlängst unterbunden wurde: Dass Aktualitätsbezug entsteht, dafür sorgt das kaum veränderte Lavieren der offiziellen Bildungspolitik.

 

Foto: Coop99

Themenwechsel: Der deutsche Regisseur Dennis Gansel ("Napola", "Die Welle") hatte ein vielversprechendes Drehbuch seit den ausgehenden 1990ern in der Schublade liegen, doch es bedurfte der kommerziellen Vampir-Manie des US-Fernsehens und -Kinos, damit "Wir sind die Nacht" (über Vampire in Berlin) eine Finanzierung erhielt. Leider dominiert inzwischen auch der US-Diskurs, die vulgärfreudianische Gleichsetzung von Biss=Penetration=Sex - und grenzabsurd wirkt es etwa, wenn anhand der "Twilight"-Teen-Saga jede Menge Erwachsenen-Stimmen und -Rezensenten sich darüber entrüsteten, dass sie im Kino keine Teenage-Geschlechtsakte zu sehen bekommen. Klammert nämlich auch politische Unterströmungen aus: Gerne sind die US-Vampire ja ehemalige Plantagen-Südstaatler, in Zeiten der Tea Party ein heikles Themefeld.

Foto: Constantin

Oder die historischen "New England Vampires": Tuberkolose-Kranke, die aus Puritaner-Siedlungen vertrieben wurden - hätte auch Update-Potenzial ... Gansel erzählt jedenfalls von einem hoch hedonistischen und Tempo wie Konsum liebenden Vampirinnen-Quartett rund um die mehrhundertjährige Seniorin Nina Hoss, sie repäsentieren Facetten des Undergrounds des Politur-Pomps der "wiedervereinigten deutschen Hauptstadt": die Ufa-Glamour-Turbulenz der 20er, die Rave-Szene der 90er, die Kleinkriminalität der Gegenwart. Ermittler sind ihnen schon auf der Spur, der Showdown wird kommen ... Eine da naheliegende Variante über "jugendliche Nazivampirlesben" wolle er aber dann doch Tarantino überlassen, meinte Gansel gegenüber der "Zeit".

Foto: Constantin

Aporopos Halloween: Noch bis 31. Oktober läuft im Breitenseer-Kino (wahrscheinlich viel zu wenig bemerkt) das "Fright Nights Horror Filmfestival" - mit facettenreicher Programmierung: Am Mittwoch, 27.10., steht etwa, gesponsert vom deutschen Rapid Eye Movies Filmverleih, ein "Asien Tag" am Programm und ermöglicht um 20:00 ein Wiedersehen mit Takashi Miikes formidabler Rachegeschichte "Audition". Dicker Warnhinweis für jene, die ihn noch nicht kennen! Volles Programm des Festivals mit Detailangaben zu den Filmen unter www.frightnights.eu (red).

Foto: Constantin