Bild nicht mehr verfügbar.

Georg Wick

Foto: APA/Artinger

Bild nicht mehr verfügbar.

"Arteriosklerose ist weltweit in den Industrieländern Killer Nummer eins", sagt Georg Wick. Ablagerungen, die oft schon in jungen Jahren entstehen, verengen die Arterien. Hauptursache ist das Rauchen.

Foto: Visuals Unlimited/Corbis

Standard: Als Immunologe und Alternsforscher beschäftigen Sie sich im EU-Forschungsprojekt "Tolerage" mit den Ursachen von Arteriosklerose und rheumatoider Arthritis - was haben die beiden Erkrankungen gemeinsam?

Wick: Arteriosklerose und rheumatoide Arthritis sind charakteristische Alterskrankheiten, die zwar schon früh im Leben beginnen, sich aber im Alter manifestieren. Aus Gründen, die wir noch nicht genau kennen, zählen sie zu den sogenannten Autoimmunerkrankungen. Arteriosklerose ist weltweit in den Industrieländern Killer Nummer eins. Rheumatoide Arthritis ist eine chronische Erkrankung, die auch gravierende ökonomische Folgen durch häufige Krankenstände hat.

Standard: Was versteht man unter Autoimmunerkrankungen?

Wick: Das Immunsystem hat die Aufgabe, zwischen körpereigen und körperfremd zu unterscheiden. Zellen des Immunsystems, die den eigenen Körper attackieren, werden während der Entwicklung eliminiert. Nur Zellen, die Fremdmaterial wie Bakterien, Viren, Parasiten erkennen, dürfen weiterleben. Bei manchen Menschen funktioniert dieser Selbsterkennungsmechanismus aber nicht mehr oder hat nie gut funktioniert, sie entwickeln Autoimmunerkrankungen. Typische sind die Basedow'sche Erkrankung, die Zuckerkrankheit des Jugendlichen, multiple Sklerose, aber auch die rheumatoide Arthritis. Wir haben entdeckt, dass auch die Arteriosklerose ganz am Anfang eine Autoimmunerkrankung ist - das Immunsystem greift die eigenen Arterien an.

Standard: Häufen sich Autoimmunreaktionen im Alter?

Wick: Ja, aber Autoimmunreaktionen bedeuten noch nicht Autoimmunerkrankung. Zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen bedarf es zweier wichtiger genetischer Voraussetzungen: Erstens, das Immunsystem ist genetisch prädestiniert dafür, gegen Anteile des eigenen Körpers zu reagieren. Und zweitens, die angegriffenen Zielzellen - bei Arteriosklerose die Gefäßzellen - müssen empfindlich für den Angriff des Immunsystems sein.

Standard: Was passiert nun in den Gefäßzellen?

Wick: Bei der Arteriosklerose befinden sich Entzündungszellen in der Arterienwand. Frühere Studien haben bei fortgeschrittener Arteriosklerose angesetzt, uns interessiert der Beginn der Krankheit. Wir haben herausgefunden, dass es schon bei jungen Menschen an ganz bestimmten Stellen - dort, wo sich die Arterien verzweigen - Entzündungszellen gibt. An den gefährdeten Stellen kommt es dann zur Infiltration mit Immunzellen. Wir haben uns gefragt, was die dort erkennen, und herausgefunden, dass sie gegen bestimmte körpereigene Stress-Eiweißstoffe, Hitzeschockproteine, agieren.

Standard: Diese Stressproteine sind aber Teil des angeborenen Immunsystems und sollen doch schützen?

Wick: Ja, deshalb nennt man sie auch nach den englischen Anstandsdamen "Chaperone". Sie legen sich in der gestressten Zelle an andere Proteine an und verhindern, dass die ihre Form und Funktion verlieren. Sie signalisieren: Hier ist Gefahr. Das Problem ist aber, dass sich menschliche und bakterielle Hitzeschockproteine sehr ähnlich sind. Malträtieren wir beispielsweise unsere Arterien mit Risikofaktoren wie Rauchen oder falscher Ernährung, kommt es zu Entzündungen in der Gefäßwand. Das Immunsystem wendet sich gegen seine eigenen schützenden Proteine. Freund und Feind werden verwechselt.

Standard: Die Forscher von Tolerage wollen den Körper für sein eigenes Protein wieder tolerant machen. Wie soll das gehen?

Wick: Über den Magen-Darm-Trakt. Wir nehmen über die Nahrung ja auch fremdes Eiweiß zu uns - gesunde Menschen vertragen das gut, denn in unserem Magen-Darm-Trakt werden Fremdproteine so gut zerkleinert, dass das Immunsystem das Fremde nicht mehr als fremd erkennt. Ein wunderbarer Mechanismus: Die Passage durch den Magen-Darm-Trakt macht unser Immunsystem tolerant. Wir nützen diesen Mechanismus, nehmen also Hitzeschockproteine von Bakterien und verabreichen sie oral.

Standard: Eine Schluckimpfung?

Wick: Ja, aber eine, die das Immunsystem abschwächt, nicht stärkt. Bei Mäusen hat sich gezeigt, dass sie keine Arteriosklerose bekommen, wenn man sie mit kleinen Mengen von gentechnisch produziertem, gereinigtem HSP60 füttert.

Standard: Wie wollen Sie verhindern, dass damit nicht das gesamte Immunsystem lahmgelegt wird?

Wick: Niemand will die gute Immunität gegen HSP60 verlieren. Wir machen also eine Art Landkarte des Moleküls und isolieren aus den 570 Aminosäuren nur kleine Bruchstücke, gegen die Arteriosklerose erzeugende Immunzellen reagieren. Das stört die übrige Immunreaktion gegen HSP60 nicht. Wir hoffen auf zwei Effekte, den präventiven durch Impfung gefährdeter junger Menschen und den therapeutischen. Beides ist bereits bei Mäusen gelungen.

Standard: In welchem Alter soll geimpft werden?

Wick: Unsere klinischen Studien in Tirol haben gezeigt, dass bereits 28 Prozent der 17-, 18-jährigen Männer beginnende Arteriosklerose haben. Bei den jungen Frauen sind es 20 Prozent. Das hängt mit Stressfaktoren zusammen, in erster Linie mit aktivem oder passivem Rauchen. Aufgrund dieser Daten müsste man bereits früh mit der Prävention beginnen.

Standard: Wann könnte die Impfung Realität werden?

Wick: Nächstes Jahr wird eine erste Studie am Menschen konzipiert. In fünf Jahren könnten wir so weit sein. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)

--> Wissen: Projektmanager 

Projektmanager

Projekte wie Tolerage werden von Cemit, dem Center of Excellence in Medicine and IT, gemanagt. Das in Innsbruck ansässige Zentrum versteht sich als Partner für Forscher und für die Industrie, der nicht nur bei der Projektentwicklung, sondern auch bei der Abwicklung hilft und auch Beratung anbietet - also letztlich all die administrativen Schritte übernimmt, die Wissenschafter nicht gerne tun, weil sie zeitraubend sind und von der Kernarbeit abhalten. Cemit hat ein Partnernetzwerk aufgebaut, dass die thematische Bandbreite von Life Sciences, Gesundheitswesen, Medizininformatik bis zur Bioinformatik abdeckt. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)