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Der Tod begegnet uns praktisch nur mehr im Fernsehen, während die eigene Vergänglichkeit im realen Leben fast gänzlich ausgeblendet wird.

Foto: Sebastian Pfuetze / Corbis

Welche Auswirkungen das auf die Politik und unser Zusammenleben hat, wird an der Universität Wien untersucht.

Wolfsgraben am Abend des ersten November: Es ist schon spät, die Kirchenuhr schlug soeben elf. Das Dorf im Herzen des Wienerwaldes liegt wie verlassen unter dem frostigen Himmel. Man hat die Rollläden längst heruntergelassen, der Mond leuchtet bleich über Häuser und Felder. Ein Bild der Kälte. Überall? Nicht ganz.

Auf dem Friedhof brennen die "ewigen Lichter". Zu Allerheiligen, am Vorabend von Allerseelen, haben die Menschen zum Gedenken ihrer Verstorbenen deren Gräber geschmückt und Kerzen aufgestellt – so wie dies in ganz Österreich und anderen Teilen Europas Brauch ist. Eine schöne, aber vielerorts auch langsam aussterbende Tradition.

Der Tod wird ausgeblendet

Dieses Erlöschen ist nur Teil eines bereits seit Jahrzehnten anhaltenden Trends. Unsere Gesellschaft tut sich offenbar immer schwerer mit dem Thema Tod. Das Sterben ist praktisch aus dem täglichen Leben verschwunden, außer im Fernsehen, wo es sich fast jeden Abend in den Nachrichten besichtigen lässt, als Folge von Gewalt, Hunger und Katastrophen. Die eigene Vergänglichkeit und die unserer Lieben werden dagegen gerne ausgeblendet. Und das hat Folgen.

Wie beeinflusst die Haltung zum Sterben unser Zusammenleben und umgekehrt? Diesen Fragen hat sich Anna Durnová wissenschaftlich angenommen. Die an der Universität Wien tätige Politologin und Linguistin interessiert sich in erster Linie für das schwierige Verhältnis zwischen Moderne und Tod. "Es geht darum: In welcher Situation sterben Menschen heute?", sagt die 30-Jährige. Gemeint ist das gesellschaftliche Umfeld, in dem das Lebensende stattfindet. Anders als man vielleicht glauben mag, sind wir vor dem Tod nicht alle gleich, erklärt Durnová.

Die Öffentlichkeit debattiert allenfalls über das Thema Sterbehilfe und beschränkt sich so zu sehr auf die normative, die ethische Ebene. "Die sozialen Aspekte werden nicht direkt angesprochen." Diese sind allerdings mannigfaltig. Wer kümmert sich um die Sterbenden? In Industrieländern altert die Bevölkerung, gleichzeitig werden Familienstrukturen kleinteiliger. Angehörige haben immer weniger Zeit zur Verfügung. "Die Leute erleben einen stärkeren Druck in der Arbeitswelt", meint Anna Durnová. So wird die Pflege eines sterbenden Familienmitglieds schnell zu einer kaum bewältigbaren Aufgabe – der Tod als organisatorisches und logistisches Problem.

Anonymes Sterben

Man lagert ihn folglich aus. Früher hauchte ein Mensch seinen letzten Atemzug zu Hause aus, heute dagegen wird oft in Krankenhäusern gestorben. Anonym und von der Technik geprägt, sind diese jedoch kaum die geeigneten Orte. Sterbehospize könnten die entstandene Lücke schließen, aber es gibt nur eine geringe Zahl in ganz Europa. Durnová betont zudem, dass solche Formen palliativmedizinischer Versorgung überaus teuer sind. "Das kann sich nicht jeder leisten." Für sie steht deshalb fest: "Es fehlt uns eine Struktur des Sterbens."

Das Thema gehöre auf politischer Ebene diskutiert, fordert sie. Die Politiker zeigen sich gleichwohl eher ratlos. Durnovás 2009 fertiggestellte Doktorarbeit trägt den Titel "Zur Politik der Intimität: Policy betreffend Sterben in europäischen Gesellschaften".

Sie erforschte, wie die Politik in verschiedenen Ländern der EU mit den emotionalen öffentlichen Debatten rund um den Tod umgeht. Besonders deutlich wird dies im Fall der Sterbehilfe. Darf sich ein schwerstkranker Mensch frühzeitig aus dem Leben verabschieden, und welche Faktoren bringen ihn zu einer solchen Entscheidung? Letztere ist auch eine soziologische Frage.

Radikaler Kontrast

Das Individuelle, Eigene sowie die Leistungsorientierung sind wesentliche Merkmale unserer westlichen Kultur. Das Lebensende steht dazu im radikalen Kontrast. "Wenn wir sterben, wird der Körper in einem Zustand dargeboten, den man normalerweise nur persönlich und intim kennt", sagt Anna Durnová. Der todgeweihte Mensch wird zunehmend hilflos, er bietet ein Bild der Schwäche.

Die Wissenschafterin berichtet über eine todkranke alte Dame, die in ihrem Bett im Gang eines Spitals abgestellt wurde. Jeder Besucher konnte sie sehen, ein öffentliches Leiden. So etwas empfinden die meisten als unwürdig. "Damit könnte man vielleicht den Wunsch erklären, das Lebensende selbst zu bestimmen", sagt Durnová. Im Sinne einer Verteidigung der Privatsphäre seien wohl auch Patientenverfügungen in Bezug auf die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen zu verstehen. Während ihrer Forschungsarbeit hat Durnová mit vielen Ärzten, Pflegekräften und Familienangehörigen von Sterbenden gesprochen. Berührend war der Fall einer an Brustkrebs erkrankten Mutter, die ihre beiden Kinder zu ihrer Schwester gab, weil sie den Kleinen den Anblick des Sterbens nicht antun wollte.

Emotionale Debatte

"Die Leute wissen oft nicht, was sie tun sollen." Der Tod bringt Zerrissenheit, persönlich und gesellschaftlich. Vor allem zum Thema Euthanasie streiten Befürworter und Gegner mit ungeheurer Schärfe. In manchen Ländern wie den Niederlanden wird sie seit Jahren unter strengen Kontrollen praktiziert, in vielen anderen dagegen ist sie absolut verboten. Dort schweigt man das Thema auch gerne tot, erklärt Durnová. "Viele Politiker scheinen zu denken: Wenn wir nicht darüber reden, wird es nicht passieren." Ein Irrtum. Notfalls fahren die Menschen eben in die Niederlande.

Ein häufig vorgebrachtes Argument ist, dass eine verbesserte palliativmedizinische Versorgung Sterbehilfe überflüssig machen könnte. Diese generelle Gegenüberstellung greift zu kurz, weiß Durnová. Hospizangestellte haben ihr mehrfach von Sterbenden berichtet, die im Endstadium trotz bester Pflege Hilfe wünschten. "Irgendwann geht es nicht mehr weiter." Die Euthanasiedebatte wird also noch lange die Gemüter erhitzen. Aber Durnová betont: "Man sieht bei Gegnern und Befürwortern dieselben Emotionen." Beide agieren aus Nächstenliebe. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 27.10. 2010)