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Letztes Jahr soll ein Kilo Tomaten 38 Cent gekostet haben, heuer muss man mehr als das Zehnfache - 4,50 Euro - berappen

APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER

Selbst für die in der Kunst des Preistreibens außerordentlich erfahrenen Großhändler war die türkische Tomate in diesem Jahr ein maßloses Gemüse. Lebensmittelpreise pflegen in der Türkei vor hohen muslimischen Feiertagen auf ein Vielfaches ihres üblichen Werts zu klettern, eine imaginäre nationale Nahrungsmittelknappheit vorwegnehmend, gähnend leere Supermarktregale, tagelang weinende Kinder, Überfälle auf Autos, die Notrationen im Kofferraum haben und bei Rot an der Ampel hielten ... Die Tomate aber stellt alles in den Schatten: 75 Kuruş soll das Kilo letztes Jahr gekostet haben (38 Cent), irgendwo bei neun Lira (4,50 Euro) stand der Preis in den vergangenen Wochen. Auf andere Kulturkreise übertragen in etwa das, was der Isländer im Dezember und vor der Finanzkrise für eine einzelne marode Erdbeere hinlegte, wenn ihn der Gusto plagte.

Die Türkei und die Tomate aber sind ein symbiotisches Paar, die eine nicht ohne die andere zu denken. Tomaten werden landauf landab vom Morgen an geschnitzelt, gekocht, gegrillt, gebraten, eingelegt. Bei neun Lira aber hört der Spaß auf. Natürlich hat das alles einen Grund und einen Namen: Tuta absoluta, die Tomatenminiermotte. Im Frühjahr soll sie von Izmir aus ihr übles Handwerk begonnen und bald ganz Anatolien überzogen haben. Die Großhändler taten dann, eine nationale Nahrungsmittelknappheit voraussehend, das Ihrige, um den Kilopreis für die Tomate in Einklang mit der neuen Realität zu bringen.

Mittlerweile hat das türkische Landwirtschaftsministerium Nesidiocoris tenuis angeschafft, eine Raubwanze, die der Tomatenminiermotte den Garaus macht. Man stellt sich den inneren Kampf in einer Tomate nur ungern beim Verzehr eines Salats im Restaurant vor, und erst recht den altbewährten Beschuss des Gemüses mit Pestiziden (bei Tuta absoluta alle acht bis zehn Tage). Die Schlacht ist dennoch geschlagen - vorerst einmal. Mit Wochenbeginn stürzte der Tomatenpreis auf unter vier Lira ab. Die Erklärung des Gemüsehändlers am Eck: Die letzte Feldernte aus dem Tomatenreich Antalya im Süden und die erste Fuhre aus den Treibhäusern kommen jetzt zusammen auf dem Markt - also viel Tomate, Preis sinkt. Für eine auch in der Türkei längst üblich gewordene Plastiktomate spanisch-niederländischer Bauart immer noch viel zu viel.