Foto: Völker
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Mit dem Cadillac nach Memphis, im Namen des Herrn. Und der Herr liebt die Musik, seinen Botschafter, den Reverend der Full Gospel Tabernacle Church, und seine Gäste.

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Wir fuhren von New Orleans rauf, immer den Mississippi entlang. Nach Natchez, wo wir das erste Mal in die Kirche gingen, dann folgten wir dem Natchez Trail, auch Devil's Backbone genannt.

In Natchez, das mit Lynda Lee Mead die Miss America von 1960 hervorgebracht hatte, trafen wir Rick und Amber, die in uns Suchende erkannten und in ihre Kirche einluden. Kirchen gibt es in Natchez genug. Methodisten und Episcopalianer, Baptisten und Katholiken. Aber Rick und Amber waren Presbyterianer. Die Kirchengemeinde war weiß und Oberschicht. Die meisten schienen einen Stecken im Hintern zu haben, so locker waren sie. Es gilt das Wort der Bibel. Aber freundlich waren sie, und der Vorstand begrüßte uns herzlich. Heute gab es eine Überraschung: Die Kirche hatte sich Musiker eingeladen, die etwas vorsingen würden. Schwarze.

Es waren Studenten der School of Music von der University of Southern Mississippi. Sie gaben Traditionals und Gospels. Einer nach dem anderen trat nach vorne und sang sich die Seele aus dem Leib. Im Publikum wurde anerkennend genickt, freundlich gewippt und höflich geklatscht. Wir fuhren weiter, folgten dem alten Handelspfad der Cherokee- und Choctaw-Indianer, an die außer dieser Route hier nichts mehr erinnert.

Wir fuhren nach Norden, Richtung Tennessee. Unser Ziel war Memphis. Wir waren im Namen des Herrn unterwegs. Wir suchten das Licht.

In New Orleans hatten wir uns vergeblich nach einem Dodge Monaco umgeschaut, das schien uns das passende Fahrzeug für die Reise, aber es gab keinen. Wichtig war: acht Zylinder. Und keine Asiaten. Es wäre unerträglich gewesen, den Highway mit einem Toyota Tercel, einem Hyundai Accent oder einem Proton Perdana zu befahren. Und die amerikanischen Alternativen sind auch nicht sehr verlockend. Ein Chevrolet Aveo wäre ebenso schrecklich wie ein Dodge Caliber oder ein Pontiac G5. Denkmöglich wäre ein Impala oder ein Buick Century gewesen, passend ein Mercury Grand Marquis oder ein Lincoln Town Car. Lustige Autos wie einen Ford Mustang kann man vielleicht in Kalifornien mieten, nicht aber in Louisiana. Am Telefon reservierte ich schließlich einen Buick Lucerne, und zwar ausdrücklich den Achtzylinder. Mit einem Sechszylinder könnten sie zur Hölle fahren. Es stand dann ein Cadillac DTS am Platz, acht Zylinder, immerhin.

Wir glitten den Mississippi nordwärts. Durch Port Gibson und Vicksburg, an Greenville vorbei, an einem Freitag trafen wir in Memphis ein. In der Stadt des Blues, des Soul, des Rock 'n' Roll. Am Sonntag würde der Reverend predigen.

Auf der Forbes-Liste der gefährlichsten Städte der Vereinigten Staaten liegt Memphis auf Platz zwei. Wir waren auf der Hut. Aber Gott war mit uns. Wir hatten noch viel zu tun: das Sun Studio, wo Elvis seine Platten aufnahm, Stax Records, wo Isaac Hayes und Otis Redding ins Studio gingen, das verwaiste Hi Records Studio des kürzlich verstorbenen Willie Mitchell, wo er, Al Green, seine frühen Hits aufnahm. Zu B. B. King in den Club, in die Beale Street, ins Rock 'n' Soul Museum.

Am Samstag trafen wir Reverend Samuel Kyles. Er erzählte uns, wie er am 4. April 1968 dem eben erschossenen Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Hotel die Zigarette aus der Hand nahm und das Zigarettenpackerl aus der Tasche zog. "Dr. King wollte ein Vorbild sein" , sagte Reverend Kyles, "er wollte nicht, dass jemand weiß, dass er wieder zu rauchen begonnen hatte" .

Sonntag. Der Tag des Herrn. Der Parkplatz vor der Full Gospel Tabernacle Church am Rande von Memphis füllte sich. Eine große schwarze Frau mit großen Brüsten und großem Hut herzte mich im Eingang. "Der Reverend hat Geburtstag." Sie strahlte. Wir nahmen in der Kirche Platz, irgendwo in der Mitte, in einer der mittleren Reihen. Eine Reihe vor uns saß noch ein weißes Pärchen, sonst nur Schwarze. Die erste Reihe war offenbar den älteren Frauen vorbehalten, sie waren herausgeputzt wie für eine Hochzeit und trugen Ungetüme von Hüten. Viele der jüngeren Pärchen oder Frauen hatten ihre Kinder mit, auch Babys.

Da vorne thronte der Reverend. Al Green. In seiner eigenen Kirche war er längst auch Bischof. Er erbat sich gerade noch ein Lied, bevor er zur Predigt schreiten würde. Aus dem Chor trat eine Frau hervor - und rockte die Kirche. Halleluja! In den Bänken wurde getanzt, geklatscht und gejubelt, ein anderer Reverend lief mit erhobenen Händen den Gang entlang und pries den Herrn. Eine junge Frau sprang auf, lief nach vorne und verfiel dort in ekstatische Zuckungen - bis zum Zusammenbruch. Später saß sie wieder in ihrer Bank, richtete sich die Haare und zog den Lippenstift nach.

Al Green trat nach vorne. Er lachte erst einmal. Dann resümierte er über sein Leben, ja, auch er sei nicht immer immun gegen die Verlockungen des Lebens, er sprach über seine Hände, seine Füße, nicht immer schien alles Sinn zu ergeben, dann zupfte der Bassist eine Seite, die Orgel stieß einen Ton aus, das Schlagzeug setzte ein, der Reverend hob die Stimme, verfiel ins Singen, und Minuten später tobte die Kirche. Sie tobte. Die Menschen jubelten und klatschten, sie sangen und priesen den Herren, manche weinten, anderen verfielen in Ekstase, tanzten oder sprachen mit der Wand. Wir saßen da und hatten den Mund offen. Das weiße Pärchen vor uns klammerte sich aneinander. Es wurden noch Menschen geheilt und bekehrt, auch das ging nicht ohne Tränen und viel Halleluja-Rufen ab. Der Chor wallte und bebte. Dann traf uns das Licht. Der Reverend wies mit der Hand zu uns, ja, er habe bemerkt, dass hier ein paar Leute sitzen, die nicht jeden Sonntag in seine Kirche kämen, die er nicht kennt. Er lachte. Hieß uns willkommen. Und segnete uns. Dann wünschte er uns noch eine gute Fahrt.

Stunden später fand ich wieder zu mir. Ich saß im Cadillac vor der Kirche, ein Lichtstrahl umspielte den Wagen. "Halleluja!" , entfuhr es mir, dann stieg ich ins Gaspedal. Amen. (Michael Völker/DER STANDARD/rondoMOBIL/Oktober 2010)