Medal of Honor (EA) ist für PC, PS3 und Xbox 360 erschienen. Die Ausgabe für PS3 enthält zusätzlich noch eine HD-Version des ersten Teils der Serie aus dem Jahr 1999.

Foto: EA

Elf Jahre nach der erschreckenden Rekonstruktion des Sturms auf die Normandie hat Electronic Arts die eingeschlafene Kriegsspielserie "Medal of Honor" (MoH) in die Gegenwart geholt. 2010 zieht man nicht mehr gegen die Nazis in die Schlacht, sondern wird als Mitglied der US-Spezialeinheit Tier 1 in den Kampf gegen Taliban-Kämpfer nach Afghanistan versetzt. Anders als die Genrekonkurrenz wird auf einen fiktiven Plot verzichtet. Hier lauert kein abtrünniger General mit einem "gar schröcklichen" Masterplan hinter den Sturmlinien - anstelle dessen geben die Autoren und Designer schlicht einen Einblick in das Frontleben der Soldaten. Eine Entscheidung, die im Vorfeld bereits für viel Aufregung sorgte. Die Kritik: Es sei unethisch, einen aktuellen Krieg in einem Videospiel zu thematisieren.

Namenloser Höllenritt

Ob es tatsächlich "untethischer" ist, einen aktuellen Konflikt nachspielen oder über die Leichen des Zweiten Weltkriegs stolpern zu lassen, ist eine Frage, die nicht ohne Rücksicht auf die persönliche Perspektive beantwortet werden kann. Sehrwohl unvoreingenommen diskutiert kann der dargebrachte Inhalt werden - oder besser das, was die Neuauflage von MoH nicht beleuchtet.

Die Kampagne darf als rund fünfstündiger Ritt durch die felsige Hölle zweier erbittert kämpfender Feinde beschrieben werden. Stets aus der Sicht eines US-Soldaten versucht man in einer Ausnahmesituation nach der anderen an der Seite seiner Kameraden zu überleben. Mal gerät man in einer Schlucht in einen Hinterhalt, ein anderes Mal muss lautlos ein Lager infiltriert werden. Dann bedient man sich wiederum der High-Tech-Kriegsmaschinerie des US-Militärs und Jagd mit Drohnen Mörserstellungen in die Luft oder pflückt über 1000 Meter entfernte feindliche Scharfschützen vom Baum. Helikopter stürzen ab, Granaten schlagen ein, Schutt und Asche regnen vom Himmel und Rauch verdunkelt die Sonne. Blei schwirrt durch die Luft, es ist laut, blutig und die meiste Zeit sieht man virtuelle Talibans wie Fliegen sterben.

Nichts zum Nachdenken

Hätten sich die Entwickler von MoH nicht selbst Authentizität auf die Stirn geschrieben, wäre es einfach ein seichtes Ballerspiel geworden. Doch die Einbettung in ein reales Umfeld schraubt automatisch die Erwartungen an die Geschichte höher. Welche Facetten des Krieges wollen uns die Autoren zeigen, warum hat man sich ausgerechnet den "US War on Terror" vorgeknöpft? Die einzige Message, die beim geschilderten Konflikt "Schreibtischgeneral gegen Bodentruppen" durchscheint, ist die Ohnmacht des einfachen Soldaten vor der Befehlsgewalt. Es wird gezeigt, dass die Männer in den Tarnfarben einen lebensgefährlichen Job haben und zusammenhalten. Der Krieg selbst wird nicht hinterfragt - wer diese Taliban sind und wie es mit Kollateralschäden aussieht so und so nicht. Die Taliban sind schlicht die neuen Nazis - die Bösen, der Feind, Schwarz und Weiß.

Effekthascherei

Das ist durchaus eine Enttäuschung, weil abermals nichts dazu beigetragen wurde, Videospiele als kritische, kulturell ernstzunehmende Plattform zu verkaufen. Es geht nicht darum, den Krieg in seiner letzten Konsequenz aufzubröseln, doch weshalb kann ein Einblick in den kämpferischen Alltag von Soldaten nicht mit aussagekräftigeren Dialogen, als vulgären Flüchen und smarten Tag-Lines, vertieft werden. Wo sind Angst, Zweifel, Mitgefühl geblieben? Weshalb nimmt man sich Ausnahmsweise nicht einmal an aufwühlenderer Kost wie "Apocalypse Now" oder auch am weniger hinterfragenden, jedoch sehr beklemmenden "Black Hawk Down" ein Beispiel. Anstatt dessen werden lediglich Actionszenen kopiert und möglichst beeindruckend nachgestellt.
Und dabei fällt leider auch die spielerische Komponente relativ flach und ebenso unecht wie das vermeintlich echte Geschehen aus. Mit einem Arsenal an Kriegswerkzeug bewaffnet, wird das Gemetzel zum besseren Morhuhnschießen, weil physikalische Gesetze (keine Flugbahnberechnung für Projektile) und die Sterblichkeit des Menschen erfolgreich ausgeblendet werden. MoH versucht sich real anzufühlen und ist dabei nichts anderes als eine direkte Kopie des ebenso platten "Call of Duty: Modern Warfare 2". Mit dem Unterschied, dass Activisions Blockbuster bewusst lieber ein Tom Clancy-Thriller als ein Kriegsbericht ist.

USA gegen OPFOR

Dabei soll bei aller Kritik nicht gemeint sein, dass MoH per se ein schlechtes Spiel ist. Nur verspricht die Packung mehr als der Inhalt offenbart. Dass technisch ein überaus solides Fundament darunterliegt, verdeutlicht der Mehrspielermodus, der von den "Battlefield"-Schöpfern DICE umgesetzt wurde. So spielt man gemeinsam Räuber und Gendarm in einer Mischung aus Battlefield und Call of Duty. Und zur Beruhigung wurden die Taliban in "Opposing Forces" (OPFOR) umbenannt, sodass ja keiner als Schurke kämpfen muss. Und damit sei an dieser Stelle ausnahmsweise schon alles für das sonst wie üblich folgende Fazit gesagt. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 24.10.2010)

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