"Die Parteien kommen zum Gespräch über das Kopftuch zusammen."

Foto: Standard/Bernath
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Drei Wochen nach der Hauruck-Befreiung Kopftuch tragen wollender Studentinnen durch den Hochschulrat kommen die türkischen Politiker mit ihrer Debatte über das religiös-modische Bekleidungsstück nun doch in den Wald. Anfangs hat es schon sehr nach einer schnellen Einigung der Parlamentsparteien über die Aufhebung des Kopftuchverbots ausgesehen - im türkischen Politspeak "Türban" oder "Başörtü", zum mutmaßlichen Unterschied später. Doch die erste Gesprächsrunde zwischen der regierenden konservativ-muslimischen AKP und der Opposition von CHP (Republikanische Volkspartei; säkular, stramm national, jetzt sozialdemokratisch tuend); MHP (rechts von Dschingis Khan) und BDP (derzeitiger Name der Kurdenpartei bis zum nächsten Verbot) war so unerquicklich, dass nun erst einmal Tage der Empörung und der gegenseitigen Vorwürfe folgen werden und das Kopftuchthema statt einer Lösung gut auch sieben Monate Wahlkampf bis zur Parlamentswahl am 5. Juni 2011 füllen könnte.

"Bizimcity" - "unsere Stadt" -, die tägliche Karikatur auf der Titelseite der Boulevardzeitung Sabah, zeigte heute morgen die Selbstgespräche der vier Parteien am runden Tisch und machte nebenbei noch auf einen grotesken Punkt aufmerksam: In der Türkei diskutieren und entscheiden Männer, was die Frauen auf dem Kopf haben sollen und was nicht.

Während MHP und BDP mit ihrer zum Teil konservativ-religiösen Wählerschaft dem Ende des Kopftuchverbots an den staatlichen Universitäten des Landes durchaus etwas abgewinnen können, stellt die CHP Bedingungen verschiedener Natur. Auflösung des Hochschulrats YÖK, einer Erfindung der Putschisten von 1980, mittlerweile von der AKP gekapert; Garantieerklärung der Regierung, dass nicht auch noch das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst fallen wird; Senkung der Zehnprozenthürde bei Wahlen für den Einzug von Parteien ins Parlament.

Wortspenden aus den verschiedenen Lagern haben die Kopftuchdebatte diese Woche nur kompliziert. Der Vorsitzende des Hochschulrats YÖK, Yusuf Zia Özcan, erklärte, er stehe mit seinem Wort dafür ein, dass Studentinnen, die kein Kopftuch tragen, diese Freiheit weiter haben werden. Das war möglicherweise auch nett gemeint, zeigte aber, wie verdreht die Debatte wird: Jetzt sind es die kopftuchlosen Frauen, die sich für ihr angeblich unislamisches Verhalten rechtfertigen müssen. Özcans Garantieerklärung vergrößerte nur die Furcht anders denkender Frauen, dass sie in absehbarer Zeit an Universitäten und in der Öffentlichkeit unter Druck kommen werden, ihr so anstößiges Haar zu bedecken.

Der Chefankläger der Republik, Abdurrahman Yalcinkaya, der 2008 ohne Erfolg ein Verbotsverfahren gegen die AKP wegen islamischer Umtriebe eingeleitet hatte, schaltete sich seinerseits ein. Die jüngsten Erklärungen zum Tragen des Kopftuchs verletzten die säkularen Prinzipien der Verfassung, teilte er am Mittwoch mit. Wie man das nun zu bewerten hat, darüber gehen die Meinungen im Land auseinander. Eine Warnung sicherlich, eine Stellungnahme von juristischem Wert schon eher nicht, die Ankündigung eines Ermittlungsverfahrens - wer weiß.

Was uns am Ende noch zu einem weiteren Klärungsversuch führt: "Türban" oder "Başörtü"? Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der CHP bevorzugt den "Türban", Regierungschef Tayyip Erdogan den politisch weniger befrachteten, dafür eleganter klingenden "Başörtü". Alles Unsinn, wenn man der Erklärung einer Studentin folgt, die Kopftuch trägt. "Başörtü" wird unter dem Kinn geknotet, "Türban" hat hingegen den Vorteil, auch noch jene kleine Senke keusch zu verdecken, die der Übergang von Schlüsselbein und Brustbein bildet. Problem also prima gelöst.

Toleranz ist in diesem Zusammenhang dann so gesehen auch ein frommer Wunsch. An der Anlegestelle Kadiköy sind die Bosporusfahrer heute Abend von einem neuartigen Hinweisschild begrüßt worden: Miezekatze in verschiedenen Verkleidungen, darunter auch mit "Başörtü". Wörtlich übersetzt hieß die dazugehörige Erklärung "Höre mit Respekt die Unterschiedlichkeiten". Das Ganze sah sehr nach einer Spontan-Installation der Künstlertruppe "Free Zone Istanbul" aus. Die hatte am vergangenen Wochenende ein ähnliches Hinweisschild für Gebetsräume in Besiktas aufgestellt: die Symbole der drei Weltreligionen plus das Konterfei von Kemal Atatürk, der ja nun eine durchaus überhöhte Anerkennung in seiner Republik erfährt. Es hat nicht lange gedauert, bis eine Gruppe Jugendlicher vorbeigestürmt kam und das Schild niederriss. Die kemalistische Oppositionspartei CHP hat Zeitungsberichte dementiert, dass es sich bei den Bilderstürmern um Mitglieder ihrer Jugendorganisation handelte...