UN-Experte Manfred Nowak fordert von den USA, die Bush-Zeit aufzuarbeiten.

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Der UN-Folterberichterstatter Manfred Nowak erzählt im Gespräch mit Julia Raabe, warum in Dänemark nicht mehr gefoltert wird und wie die EU in Griechenland scheitert. Zum Ende seines Mandats geht der Experte auch mit dem UN-Menschenrechtsrat hart ins Gericht.

STANDARD: Ist die Folter auf der Welt seit Ihrem Amtsantritt als Berichterstatter 2004 weniger geworden?

Nowak: Ich fürchte nicht. Aber sie ist wohl auch nicht mehr geworden. Für meine Besuche habe ich Länder von allen Kontinenten und allen Rechtssystemen ausgewäht, und zwar nicht nur solche, von denen ich geglaubt habe, dass die Situation dort sehr schlecht ist. Meine Erkenntnis ist: In der deutlich überwiegenden Zahl der Staaten wird gefoltert. Nur das Ausmaß ist unterschiedlich. In Griechenland, das ich gerade besucht habe, gab es wenige Fälle. Einzelfälle.

STANDARD: Dafür haben Sie sich schockiert über die Situation der Flüchtlinge dort geäußert.

Nowak: Die Haftbedingungen sind katastrophal. 90 Prozent aller Festnahmen von irregulären Migranten in der EU in diesem Jahr haben in Griechenland stattgefunden. Daher fordere ich die EU auf, die Dublin-II-Verordnung (wonach Immigranten in das EU-Land abgeschoben werden können, in das sie als erstes eingereist sind) auszusetzen und niemanden mehr nach Griechenland zurückzuschicken, sondern die Asylverfahren selber durchzuführen.

STANDARD: Ist Athen überfordert oder steckt böser Wille dahinter?

Nowak: Die Griechen sind völlig überfordert. Die neue Regierung ist wirklich gewillt, etwas zu verändern. Sie braucht aber finanzielle und andere Unterstützung von der EU. Man braucht offene Aufnahmezentren, Zugang zum Asylverfahren, etc. Nur Frontex hinzuschicken ist zu wenig. Generell muss die Dublin-II-Verordnung auf Dauer überdacht werden. Das ist ein völlig unfaires System, das manche Staaten extrem überfordert und unfair behandelt.

STANDARD: Gibt es auch besonders beispielhafte Staaten?

Nowak: Dänemark, einschließlich Grönlands, ist das einzige von 18 Ländern, die ich besucht habe, in dem ich keine Folter oder solcherlei Vorwürfe gefunden habe. Es bestätigt, das jede Regierung Folter ausrotten kann, wenn sie wirklich will. Dazu gehört auch, den Korps-Geist zu durchdringen und niemanden mehr zu decken, wenn ein Häftling misshandelt wird. Bei uns ist das immer noch so: Wenn es einen Foltervorwurf gibt, ist das Erste, was das Innenministerium tut, zu sagen: Das stimmt alles nicht. Anstatt zu erklären, dass man es nicht weiß und es untersuchen wird. In Dänemark waren auch die Haftbedingungen besser als in allen anderen Staaten.

STANDARD: Besteht ein Zusammenhang zwischen Haftbedingungen und Folter?

Nowak: Ganz klar. Ein Hauptproblem ist, dass die Öffentlichkeit nicht weiß, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht – und es vielleicht auch gar nicht wissen will. Der Tenor ist: Wer im Gefängnis sitzt, wird auch irgendetwas angestellt haben. Die Realität sieht aber oft ganz anders aus. Moderner Strafvollzug heißt, der Häftling wird zwar seiner persönlichen Freiheit beraubt, aber sonst sollten die Haftbedingungen möglichst so sein wie in Freiheit, um die Leute später leichter resozialisieren zu können. Deshalb hat Dänemark auch eine niedrige Wiederholungstäter-Rate. Dem gegenüber stehen alle Ex-Sowjetstaaten, China, aber auch die USA, die ein archaisches Denken haben. Wer verurteilt ist, soll auch leiden.

STANDARD: Stichwort USA: Sie waren zu Beginn von Obamas Regierung sehr zuversichtlich, dass sich vieles ändern wird und auch Guantánamo, wie angekündigt, geschlossen wird. Das ist nicht passiert. Sind Sie enttäuscht?

Nowak: Guantánamo wollte er wohl wirklich innerhalb eines Jahres schließen. Der Kongress, Gouverneure der US-Bundesstaaten, aber auch europäische Regierungen haben ihm das so schwer wie möglich gemacht. Aber so eine Praxis der Folter, wie es unter der Bush-Regierung gab, gibt es nicht mehr – da war er erfolgreich.

STANDARD: Das heißt, Ihnen sind keine aktuellen Fälle von Folter durch US-Angehörige bekannt?

Nowak: Nein. Allerdings wird der Obama-Regierung – zu Recht, denke ich – vorgeworfen, dass sie Häftlinge, die im Irak in US-Haft sind, an die irakischen Behörden übergeben. Wohl wissend, dass sie dort gefoltert werden. Was ich Obama vor allem vorwerfe, ist, dass die Menschenrechtsverletzungen der Bush-Regierung nicht aufgearbeitet werden. Vergangenheitsbewältigung gab und gibt es nicht. Dabei ist die Beweislage erdrückend. Rechtlich gesehen verletzt Obama damit tagtäglich die UN-Konvention gegen Folter und andere internationale Verträge.

STANDARD: Als Sonderberichterstatter sind Sie auf die Einwilligung des jeweiligen Staates angewiesen – die nicht immer gegeben wird. Beispiel Simbabwe, wo sie am Flughafen abgewiesen wurden. Beispiel Iran. Läuft der Berichterstatter nicht Gefahr, die aktuellsten Fälle von Folter nicht aufdecken zu können?

Nowak: Natürlich hätte ich viele Staaten gerne besucht, wo es gute Gründe gibt anzunehmen, dass dort systematisch gefoltert wird. Ägypten zum Beispiel oder Syrien, überhaupt viele Nahost- und nordafrikanische Staaten. Aber Äquatorialguinea gehört in dieselbe Kategorie wie Simbabwe oder Ägypten. Ich war in Nepal zu einer sehr schlimmen Zeit, in Sri Lanka auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen dem Militär und den Tamilen-Rebellen – und ich habe fürchterliche Foltermethoden festgestellt.

STANDARD: Warum lassen sich Staaten darauf ein? Sie laufen doch Gefahr, dann am Pranger zu stehen.

Nowak: Uruguay ist ein Beispiel für den Idealfall: Die neue Regierung wollte eine unabhängige Evaluierung. Sie wusste, dass die Situation nicht gut war, aber sie wollte sie ändern. Die Haftbedingungen waren fürchterlich. Meine Empfehlung, sofort bestimmte Teile von Gefängnissen zu schließen, wurde drei Tage später durch ein Dekret des Präsidenten angeordnet. Länder wie Äquatorialguinea und Nepal hoffen zum Teil wohl, dass ich nicht die volle Wahrheit herausfinde. Oder der Druck der Staatengemeinschaft auf sie ist zu groß.

STANDARD: Ist es oft vorgekommen, das ein Land versucht hat, etwas zu vertuschen?

Nowak: Kasachstan war ein Meister darin. Ich wurde ständig überwacht. In den Gefängnissen war alles neu gestrichen. Die potemkinschen Dörfer waren teilweise skurril: In einem Frauengefängnis durften die Frauen vier Tage lang nicht in den frisch bezogenen Betten schlafen, weil sie nicht wussten, wann wir kommen und alles schön sein sollte. Die Häftlinge wurden eingeschüchtert, wir waren ständig mit Lügen und denselben vorgefertigten Antworten konfrontiert. Es war ein großer Aufwand, den Häftlingen zu vermitteln, dass die Gespräche wirklich vertraulich sind.

Die Chinesen waren extrem effizient in der Überwachung, bis hin zu unseren Mobiltelefonen. Opfer, die zu uns nach Peking kommen sollten, haben sie in Schanghai aus dem Zug geholt. Die Frau eines Häftlings wurde von ihrem Arbeitsplatz, die Kinder aus der Schule abgeholt und aus Peking weggebracht. Ich habe drei Mal damit gedroht, die Mission abzubrechen, wenn das nicht aufhört. Am Ende ging es dann doch, aber ich habe sehr viel Energie für dieses Katz-und-Maus-Spiel aufwenden müssen.

STANDARD: Sie haben noch unter der Menschenrechtskommission Ihre Arbeit begonnen, seit 2006 gibt es den Menschenrechtsrat, für den sich jetzt auch Österreich bewirbt. Hat sich seitdem etwas geändert?

Nowak: Ich sehe den UN-Menschenrechtsschutz in einer großen Krise. Eigentlich sollte der Menschenrechtsrat auf Basis der Expertise von unabhängigen Experten handeln. Doch je besser wir (die Berichterstatter) unsere Arbeit machen, desto mehr werden wir von den Staaten kritisiert – aufgrund politischer Interessen. Das ist völlig absurd. Die Staaten, die die Menschenrechte am meisten verletzen, haben die Mehrheit im Rat. Die Uno muss ihre menschenrechtlichen Organe grundlegend reformieren, wenn sie sich auf Dauer nicht lächerlich machen will.

STANDARD: Was muss sich ändern?

Nowak: Für mein Mandat fordere ich eine Konvention über die Rechte von Häftlingen, da schaut es ganz schlimm aus. Besonders wichtig ist auch, das Zusatzprotokoll zur Folterkonvention zu ratifizieren und damit vor allem besseren Zugang zu den Gefängnissen zu schaffen. Generell fordere ich die Schaffung eines Weltgerichtshofs für Menschenrechte, der sogar über die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinausgeht. Das könnte sehr viel bewirken. (Langfassung eines in DER STANDARD, Printausgabe, 23.10.2010 erschienen Interviews)