Sie scheuen keine Mühe: In Hubschraubern und auf Schlitten machen sich derzeit mehr als 600.000 Volkszähler auf den Weg bis in die hintersten Winkel der Russischen Föderation. Noch bis 25. Oktober sollen alle gezählt werden, die sich auf russischem Territorium befinden - und sogar darüber hinaus: von Rentierzüchtern auf der unwegsamen Halbinsel Kamtschatka bis hin zu den Kosmonauten in der Weltraumstation ISS.

"Russland braucht jeden" , lautet die Losung des ersten gesamtrussischen Makrozensus seit 2002. Die russische Führung erhofft sich von der Volkszählung Erkenntnisse über die genaue Bevölkerungszahl, Migrationsprozesse und soziale Verhältnisse.

Die Maßnahme ist bei der russischen Bevölkerung aber unpopulär. Laut dem Statistikamt Rosstat werden zwölf Prozent der Russen die Zählung verweigern. Die Dunkelziffer der Zensusverweigerer dürfte weit höher liegen. Die Russen, die generell dem Staat misstrauen, fürchten, dass die erhobenen Daten gegen sie verwendet werden könnten. Vielen ist es unangenehm, ihre Einkommen offenzulegen. In Moskau und anderen Großstädten gibt es zudem das Problem, dass viele Mieter wegen bürokratischer Hürden gar nicht in ihren Wohnungen, sondern unter anderen Adressen registriert sind.

Um für die unbeliebte Volkszählung zu werben, sind sogar Präsident Dmitri Medwedew und Premierminister Wladimir Putin eingesprungen. Sie ließen sich vom Staatsfernsehen beim Beantworten des Fragebogens filmen. Medwedew erzählte dazu noch Anekdoten von 1989, als er selbst als Volkszähler in St.Petersburg von Tür zu Tür ging.

Die Volkszähler sind zumeist Studenten, die für zwei Wochen Arbeit 5500 Rubel (rund 130 Euro) erhalten. Nicht immer haben sie den Job freiwillig angenommen. In ihren Blogs beschweren sich Studenten, dass sie von ihren Fakultäten zur Mitarbeit gezwungen worden seien.

Eine strenge Kontrolle der Fragebögen soll garantieren, dass in den Regionen keine "toten Seelen" gezählt werden, kündigte Sergej Sobjanin an, der die Vorbereitungen leitete, bevor er Moskauer Bürgermeister wurde. "Die lokalen Behörden könnten versucht sein, die Bevölkerungszahl zu erhöhen" , sagte Sobjanin. Von der Einwohnerzahl hängt nämlich die Höhe der Subventionen ab.

Trotz allem droht der russischen Führung eine böse Überraschung in der demografischen Entwicklung. Gemessen an den Sterbe- und Geburtenzahlen dürfte die Bevölkerung Russlands seit 2002 um drei auf 142 Millionen geschrumpft sein. Die Ergebnisse sollen daher erst 2013, nach den Parlaments- und Präsidentenwahlen, veröffentlicht werden. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 23.10.2010)