"Ich habe das Wohnen in diesem Haus immer als unglaubliche Bereicherung erlebt." Architekt Markus Spiegelfeld in seiner Ferstel-Villa in Wien-Grinzing.

Foto: Lisi Specht

Der Wiener Architekt Markus Spiegelfeld wohnt in einem alten Haus von Heinrich von Ferstel – und das in fünfter Generation. Wojciech Czaja besuchte die Ahnengalerie

Früher war das alles hier eine Weinberggegend. Die Himmelstraße von Grinzing hinauf bis zum Cobenzl war wie eine dieser typischen Kellergassen. Davon merkt man heute natürlich nichts mehr. Jedenfalls hat sich genau hierher, mitten in seine Weinberge, der Architekt Heinrich von Ferstel im Jahr 1862 seine eigene Villa gebaut. Ich finde das spannend! Denn einerseits ist Ferstel der Erbauer des Palais Ferstel auf der Freyung, der Votivkirche und der Universität. Doch andererseits ist er auch mein Ururgroßvater, genauer gesagt: der Großvater meiner Großmutter.

Heinrich von Ferstel hat hier mit seinen sieben Kindern gewohnt. Das Haus war zwar ganz anders organisiert, aber der Charme der alten Mauern hat sich bis heute erhalten. Und dann der Aufzug! Man muss sich vorstellen: Da, wo sich heute der Personenlift befindet, gab es damals schon einen Speisenaufzug! Die Küche lag damals nämlich unten im Keller.

Seit 1862 befindet sich das Haus in Besitz der Familie. Ich selbst wohne hier seit den Sechzigerjahren. Ich bin zwar am Land geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern wollten, dass ich ins Schottengymnasium zur Schule gehe. Also bin ich mit elf nach Wien gezogen und habe dann mit meiner Großmutter hier im Haus zusammen gewohnt. Ich bin oft umgezogen, immer wieder von einem Stockwerk ins andere.

Ich habe das Wohnen in diesem Haus immer als unglaubliche Bereicherung gesehen. Meine Großmutter war Künstlerin und eine große Humanistin. Sie hat mit mir viel gelesen, sie hat mich schon in meiner Jugend – sehr zum Gelächter meiner Mitschüler übrigens – zum Aktzeichnen auf die Urania geschickt, und sie hat mir viel über Architektur und die unterschiedlichen Baustile erzählt. Ich glaube, sie hat sehr gehofft, dass einer ihrer Enkel Architekt wird.

Das Thema war die ganze Zeit präsent. Je sensibler ich wurde, desto mehr hat mich fasziniert, wie intelligent und flexibel dieses Haus geplant ist. Das Haus kann sich wechselnden Bedürfnissen anpassen. Hier kann man zu zweit und zu dritt wohnen, hier können mehrere Generationen miteinander wohnen, und nach dem Zweiten Weltkrieg hat meine Großmutter hier sogar drei Familien untergebracht, die auf Wohnungssuche waren. Wir reden hier von einem Entwurf, der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist!

Natürlich ist das Haus von den bauphysikalischen Werten nicht so gut wie eines dieser modernen Plastikhäuser, die rundherum in Styropor eingepackt sind. Aber es ist atmungsaktiv und behaglich! Die Wände sind massiv, die Backsteinfassade ist übrigens immer noch im Originalzustand, und bei den Fenstern handelt es sich um gute, alte Kastenfenster.

Vor 20 Jahren wurde uns direkt vors Wohnzimmer ein hässlicher Wohnklotz hingestellt. Also haben wir beschlossen umzubauen und den Wohnbereich zu verlagern. Ich habe mitten durchs Haus eine neue Achse gelegt und habe im Westen einen Glaswürfel dazugebaut. Den nutzen wir jetzt als zweites Wohnzimmer.

Auch wenn der Zubau ganz modern ist, haben wir an der alten Bausubstanz kaum etwas verändert. Ich kann mir sogar vorstellen, dass Ferstel mit den heutigen Möglichkeiten der Technik ähnlich agiert hätte. Parallel dazu haben wir auch in den Innenräumen umgebaut. Nur ein Beispiel: Im Wohn- und Esszimmer gibt es nun einen schönen Lärchenschiffboden, den die Künstlerin Valerie Czernin in Anlehnung an historische Vorbilder farblich gestaltet hat. Mein Lieblingsplatz im Haus ist das Wohnzimmer und die große, offene Loggia. Am liebsten sitze und liege ich auf der Couch und lese ein Buch. (Wojciech Czaja/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.10.2010)