Antje Flemming
Lars von Trier
Goldene Herzen, geschundene Körper

Deep Focus 9
256 Seiten, 183 Fotos
Paperback, 17 x 22 cm
Bertz+Fischer

Foto: Buchcover Lars von Trier. Goldene Herzen, geschundene Körper, Bertz+Fischer

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Verwehrt seinen Frauenfiguren Sprache und damit Subjektwerdung: Der dänische Regisseur und "Super-Auteur" Lars von Trier. Flemming beschreibt ihn gegenüber dieStandard.at als misogyn, verrätselt und provokant.

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

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"She" ist eins mit der Natur und die Bedrohung wird nach und nach ersichtlich: "Antichrist" stellt die bislang eindimensionalste Arbeit des Regisseurs dar.

Foto: Antichrist/Antichrist/EPA/Les Film du Losange

Die verschlingende, ewig sexuelle "She": "Ihr brennender Körper auf dem Scheiterhaufen einer gewaltverstrickten Intimbeziehung" stellt laut Flemming in "Antichrist" "das einzige Fazit eines filmischen Denkprozesses" dar.

Foto: Antichrist/Polyfilm

Lars von Trier betete CineastInnen bereits vor fünfzehn Jahren die rohe Sprengkraft seines unbeschnittenen Schöpferpotenzials mittels der Regeln der "Dogma"-Bruderschaft vor. Echt sollten sie sein, ungeschönt, seine filmischen Erzählungen "für, über und von heterosexuellen Männern" wie er einer ist, und über die er sich nach und nach in den Olymp der Filmschaffenden inszenierte. Von der Kritik mitunter auch verhöhnt, überwiegend aber gehuldigt, nahm er erst mit dem ersten Teil seiner "Golden Hearts"-Trilogie "Breaking the Waves" ein großes Publikum mit auf seine Passionsgeschichte, für die er aus einem kindlichen Unschulds- ein Opferlamm machte, das sich zu Tode vergewaltigen lässt, damit der Geliebte am Leben bleibt.

Das Verstummen der Frau

Diese Figur der "Bess" bleibt in ihrem Leiden nicht allein: Von Trier schickt in Folge weitere Frauen auf den Kreuzweg, an dessen Ende ein Opfer gebracht werden muss. Allen gemein ist ihre Sprachlosigkeit: Wo Frauen Worte fehlen, lässt er ihre Körper sprechen. Von Trier führt uns so die immer gleiche Geschichte vor Augen, stellt Antje Flemming, Germanistin und Medienforscherin, in ihrer als Publikation der "Deep Focus"-Reihe erschienen Dissertation über den dänischen Regisseur fest: Schuld und Sühne, die sprachlose Selbstaufopferung fordern, exerziert er über die Darstellung körperhafter Weiblichkeit durch.

Lars von Trier, so Flemmings Ausgangsthese, trage damit "auf reaktionäre Weise zum Diskurs über weibliche Sprech- und Ausdrucksmöglichkeiten bei. Das Verstummen der Frau [...] kehrt in seinen Filmen im postmodernen Gewande, aber mit unveränderter Aussage wieder." Und die lautet: Die Frau ist eine Bedrohung, die vernichtet werden muss - oder sich selbst vernichtet. Auch, wenn sie "heilig" ist, wie Bess, denn: "Die Heilige ist ohne die Hure nicht denkbar: Im Kino des Lars von Trier bilden sie eine Einheit, indem beide mit Emotion und Körper sich vollständig in den Dienst anderer stellen. Frauen [...] verkörpern die dunkle, irrationale und mit dem Tode assoziierte Macht [...] Was ihnen fehlt, ist die Ratio."

Seine Kunst, mit gewaltigen Bildern den kritischen Verstand zu vernebeln

Flemming knöpft sich in ihrem Buch "Lars von Trier. Goldene Herzen, geschundene Körper" das Gesamtwerk des Filmemachers vor, um ihre Annahme zu beweisen. Sie führt die LeserInnen in das "System von Trier" ein und versucht, über die Persona Trier fassbar zu machen, was seine Diegese, die erzählte filmische Welt, zusammenhält. "Mir ist aufgefallen, dass im Gegenwartskino Gewalt an Frauen häufig immer noch als ästhetisierendes Verfahren eingesetzt wird, das von Zuschauern und Zuschauerinnen kritiklos hingenommen oder gar begeistert gefeiert wird - ganz so, wie es Edgar Allan Poe mit seinem Wort von der schönen weiblichen Leiche einst propagiert hat. Dagegen wende ich mich in dem Buch, indem ich zum genauen Hinschauen auffordere und den Topos des 'Weidens am Leiden' in den Trier'schen Filmen analysiere", beschreibt die Forscherin. Doch gerade Lars von Trier verstehe es sehr gut, "einem mit seiner Filmkunst und den gewaltigen Bildern den kritischen Verstand zu vernebeln": "Erst habe ich um Björk in 'Dancer in the Dark' geweint und dann versucht, den Trier'schen Frauenhass in einen kulturellen Kontext einzuarbeiten. Mit visueller Gewalt an Frauen kann ich nicht intuitiv umgehen", schildert Flemming dieStandard.at.

Aufregendes Lesebuch zum "Super-Auteur"

Aus diesem Versuch ist eine detailversessene Zusammenschau über Film-, Medien- und Literaturwissenschaft entstanden, die das Oevre des dänischen Regisseurs durchgängig mit feministischer Theorie abgleicht und sich zu einem vielseitigen, ja aufregenden Lesebuch auswächst. Ein Kaleidoskop an Verweisen zu Filmkritiken, Zitaten von WeggefährtInnen und dem Regisseur selbst sowie zahlreiche Abbildungen von Filmstills und Set-Fotos lassen die Forschungsarbeit zur faszinierenden Nabelschau eines "Super-Auteurs" werden, der sich selbst zu einer Medienfigur stilisiert, die in ihrer Ambivalenz bislang schwer fassbar geblieben ist. 

Mit dem "von" hat sich Trier während der Studienzeit selbst geadelt; sich mit dem "Dogma"-Manifest zum Kopf eines Paradigmenwechsels filmischer Konventionen gemacht; über Aussagen, nicht glücklich sein zu können, sich zum depressiven Regiegenie abseits der Manege oberflächlicher Schaulust stilisiert; Kontrolle über das Werk abzugeben als Regel postuliert, um gleichzeitig die totale Kontrolle über jedes Detail am Set und danach zu erlangen; in diesem Koordinatensystem fokussiert Flemming auf die eindeutig lesbaren Motive seiner filmischen Ausdrücke.

Nicht Frauenfeindlichkeit ist böse, sondern die Frau selbst

So ist die religiöse Kodierung der Filme des jüdisch-linksintellektuell geprägten, später zum Katholizismus konvertierten Regisseurs unübersehbar: Sie gipfelt in seinem jüngsten Film "Antichrist". Hier trifft der Archetypus der Trier'schen Frau, namenlos "She" genannt", auf ihre männliche Gegengewalt, "He". "She" bietet im Gegensatz zu von Triers älteren Frauenfiguren keinerlei Identifikationspotenzial an, schreibt Flemming: Sie hat nicht nur ihre Heiligkeit verloren, sie ist nur boshaft und letztlich böse. Zurück bleibt die verschlingende Naturgewalt der Hure, deren Sexualität auch nach der Selbstmutilation der Klitoris "He" gefährdet; beim Geschlechterkampf im biblischen "Eden" kann er sie am Scheiterhaufen vernichten.

Auf "Antichrist" konnte Flemming im vorliegenden Buch leider nur am Rande eingehen, weil der Film 2009 nach Abschluss der Forschungen präsentiert wurde; sie spiegelt in einem Zusatzkapitel dennoch die Lesarten vielbeachteter RezensentInnen, von Daniel Kehlmanns Schwärmerei vom Befreiungsschlag des Mannes bis zu Elfriede Jelineks Dekonstruktionen, an ihren eigenen. In diesem "Weiden am Leiden" genannten Kapitel stellt sie fest, dass von Trier entgegen Beratungen der für "Antichrist" engagierten Misogynie-Expertin Heidi Laura nicht die Frauenfeindlichkeit als böse und gefährlich darstellt, sondern die Frau selbst: "Von Trier propagiert Misstrauen gegenüber der Frau, weil er mit großer Vehemenz die Bilder zu den männlichen Angstfantasien gegenüber der Weiblichkeit (bis hin zur Kastration, Anm.) liefert."

Wenn er die "Darstellung der Frau mit dem Abbilden einer Horror-Natur kongruent" führt und "als Ursache des Bösen die Mutter entlarvt", "wenn erst ihr brennender Körper auf dem Scheiterhaufen einer gewaltverstrickten Intimbeziehung das einzige Fazit eines filmischen Denkprozesses darstellt, dann wird deutlich, dass Lars von Trier nur noch durch krasse Bilder zu schockieren vermag", lautet Flemmings Urteil. 

Sprache - Macht - Subjekt

Was Flemming dem Regisseur durch ihre Analyse vor allem anlastet, ist nicht die Tatsache, dass er "seine" Frauen leiden lässt, sondern die Ausweglosigkeit, die sich daraus ergibt; wo Almodovar oder Tarantino, mit deren Filmen sie von Triers u.a. vergleicht, auch die Krise als Ermächtigungssituation für "ihre" Protagonistinnen zulassen, ja propagieren, ergibt sich bei von Trier der immer gleiche Veropferungsprozess: Die Frau selbst trägt zu ihrer Auslöschung bei. "Selma" aus "Dancer in the Dark" und "Bess" erfahren nach ihrem Opfer Rehabilitation, sogar Heiligsprechung; "She"s Vernichtung wird als notwendig legitimiert, war sie doch alles Übel der Welt.

Die Ursache für dieses Prinzip macht Flemming, wie eingangs schon erwähnt, in der Sprache bzw. deren Fehlen aus: Von Trier inszeniert die Frau - nach Christina von Braun - als "Körpermaschine", deren primärer Ausdruck der klinische Zustand der Hysterie ist. So muss sich in dieser Inszenierungspraxis die Aufgabe der Frauen erschöpfen im "Opfer zur Heilung des männlichen Prinzips" oder als "Kollaborateurin mit der männlichen Macht", die sie erst handlungsfähig macht.

Indem er den Frauen Sprache verweigert, verwehrt von Trier ihnen die Subjektwerdung und damit Handlungsspielräume. Flemming setzt gleichsam als Gegenentwurf zum System von Triers am Ende ihrer Arbeit die richtigen Worte: "Die Stärke einer Frau entsteht in der Stärke ihrer Rede." (Birgit Tombor/dieStandard.at, 26.10.2010)