Reinhard Backhausen: "Unsere einzige Chance ist Qualität und Innovation. Ich glaube ohnedies, dass es in Zukunft fast kein Textil geben wird, das nicht intelligent ist."

Foto: Bruckner

Backhausen: "Baumwolle ist in den letzten zwölf Monaten und 70 bis 80 Prozent teurer geworden. Eine Preissteigerung von fünf bis sechs Prozent wird wohl in den nächsten Monaten notwendig sein."

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Reinhard Backhausen ist Präsident des Fachverbandes Textil und geschäftsführender Gesellschafter des traditionsreichen Unternehmens Backhausen Interior Textiles. Warum Innovation den heimischen Textilunternehmen das Überleben sichert, wie eine chinesische Näherei aussieht und was sich die Unternehmen so an intelligenten Textilien einfallen lassen, erzählt er im Interview.

derStandard: Die Textil-Branche hat den Strukturwandel schon vor der Krise hinter sich gebracht. Wieviele Jobs gingen damals in Österreich verloren?

Reinhard Backhausen: Die Textilindustrie hat vor vielen Jahren 70.000 Beschäftigte in Österreich gehabt, heute sind es noch 14.500. Da ist viel Know-How nach China gewandert. Die Berufsgruppen Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie wurden im Rahmen der WKO-Reform fusioniert. Jetzt haben wir bei 560 Mitgliedsfirmen rund 26.000 Beschäftigte mit rund 4,3 Milliarden Euro Umsatz.

derStandard.at: Hatte die aktuelle Krise Folgen für die Branche?

Backhausen: Die Krise hat die Industrie insgesamt am härtesten betroffen, manche Gewerbebereiche vielleicht weniger. Man hat durch Ausgabenreduktion, temporäre Kurzarbeit oder auch Mitarbeiterabbau versucht, Umsatzrückgänge aufzufangen. Erfreulicherweise sind nicht reihenweise die Firmen in Konkurs gegangen, weil vom Strukturbereinigungsprozess eh schon die Besten übrig geblieben sind.

derStandard.at: Wer war von der Krise am meisten betroffen?

Backhausen: Der Bereich der technischen Textilien hatte schon Umsatzeinbrüche, weil die Kunden Industrieunternehmen sind, die mit Investitionen gespart haben. Das hat sich aber wieder deutlich gebessert.

derStandard.at: Gerade in Sachen technische Textilien ist die heimische Industrie sehr innovativ. Wie hoch ist der Anteil heute?

Backhausen: Wir sind sehr gut unterwegs. Der Anteil liegt schon bei 50 Prozent. Das ist eigentlich der Kernpunkt, warum es der heimischen Bekleidungs- und Textilindustrie im Verhältnis sehr gut geht, weil die Firmen sehr innovativ sind. Das ist auch der Schlüssel für die Zukunft. Wer keine intelligente Produkte entwickeln und auf den Markt bringen kann, wird es schwer haben.

derStandard.at: Die Nahrungsmittelindustrie hat uns mit vielen smarten Ideen auch das Fürchten gelehrt. Worauf muss sich der Konsument einstellen?

Backhausen: Zum Beispiel, wenn Sie sich nicht verletzen wollen, können Sie ein Kleidungsstück haben, das einen eingebauten Airbag hat. Bevor Sie beim Sturz aufschlagen, geht der auf. Oder es gibt Textilien, wo Sensoren eingebaut sind, die Körperfunktionen überwachen. Bei Feuerwehrmännern kann der zentrale Einsatzleiter dann feststellen, wie es jedem einzelnen seiner Feuerwehrleute im Einsatz geht.

derStandard.at: Hält diese Intelligenz auch außerhalb der technischen Textilien Einzug?

Backhausen: Auch da ist Innovation ein Riesen-Thema. Zum Beispiel bei Möbel- oder Vorhangstoffen wird es welche geben, die ihre Farben verändern. Ich kann dann sagen, heute hätte ich gerne ein grünes und morgen ein blaues Sofa. Oder wir schauen, ob Vorhänge vielleicht irgendwelche Energiespeichermöglichkeiten haben. Nachgedacht wird auch über Luft verbessernde Stoffe, die Schadstoffe binden und umwandeln. Oder im Medizintextilbereich gibt es Stoffe, die Organe umschließen und Informationen an Ärzte schicken. Ich hoffe, dass so etwas in drei Jahren am Markt sein wird. Oder nehmen sie den Skihandschuh, da wird es eingebaute Telefone geben. Oder denken Sie an die Hemdenstoffe, die Gerüche aufnehmen, die sie beim Waschen wieder abgeben.

derStandard.at: Wie sieht es im traditionellen Bereich mit Trends aus? Ist bio oder öko ein Kundenbedürfnis und ist der Kunde bereit dafür zu zahlen?

Backhausen: Ich glaube, dass ohne Nachhaltigkeit in Zukunft gar nichts mehr gehen wird. Wenn Sie den Kunden sagen, ich verrechne Ihnen 15 Prozent mehr, dafür tragen Sie etwas für die Umwelt bei, heißt es: Ich habe schon Verständnis für die Umwelt, aber 15 Prozent sind mir zuviel. Zwei Prozent werden anstandslos akzeptiert, wenn die Leute wissen, es passiert wirklich etwas damit.

derStandard.at: Wie erkenne ich als Konsument, dass ich ein nachhaltiges Produkt am Leib trage?

Backhausen: Es gibt den Öko-Tex-Standard 100, den man immer wieder in Hemden sieht, oder den strengeren Öko-Tex-Standard 1000. Ein internationales Umweltsiegel, das in Österreich erfunden worden ist. Das verspricht mir als Konsument, dass nach gewissen Umweltstandards produziert worden ist. Es gibt Cradle to Cradle, Bluesign oder in Skandinavien Swan. Aber das ist tatsächlich ein schwieriges Thema, dass der Konsument auch weiß, was das bedeutet. Schade ist, dass es so viele unterschiedliche Zertifikate gibt.

derStandard.at: Und soviel Produktinformation, die ja inzwischen immer mehr Etiketten in zahlreichen Sprachen umfasst, wo man sich eigentlich immer mehr in einem undurchdringbaren Dschungel wähnt.

Backhausen: Oder man ist beruhigt, weil man das Gefühl hat, da denken sich viele Menschen etwas. Die Produzenten kriegen diese Zertifikate ja nicht einfach so, die müssen ja etwas machen dafür.

derStandard.at: Wo kann die Branche umweltbewusst sein?

Backhausen: Nehmen Sie Farbstoffe her. Die sind in jedem Textil drinnen und können mehr oder weniger umweltfreundlich sein. So muss sich jeder seinen Bereich auf Möglichkeiten anschauen und daraufhin abklopfen, was die Kunden bereit sind zu zahlen. Der Europäer hinterfragt immer mehr, was wirklich in den Produkten drinnen ist. Das ist auch einer der Gründe, warum verstärkt wieder auf europäische Produkte zurückgegriffen wird und verstärkt auch wieder die europäischen Produktionen gestärkt werden.

derStandard.at: Sie sehen Teile der Produktion aus Fernost wieder nach Hause kommen?

Backhausen: Früher hat man weil es günstiger war, nach Asien verlagert. Man kann nicht alles zurückholen: Was drüben ist, ist drüben. Aber jetzt gibt es schrittweise die Tendenz, zu sagen, wir wollen nicht nur von China abhängig sein. Wir wollen schauen, dass wir die Produktionsleistung in Europa behalten. Oft wollen Kunden flott etwas haben, oder brauchen auch Sonderentwicklungen und kleine Mengen. Dann muss man die Transportkosten im Auge behalten. Es sprechen viele Faktoren dafür, den Produktionsstandort Europa wieder zu stärken.

derStandard.at: Die zunehmenden Proteste in China lassen ohnedies erwarten, dass der Lohnkostenvorteil schmilzt. Die Rohstoffpreise sind ebenfalls deutlich in die Höhe geschossen. Müssen wir uns auf höhere Preise einstellen?

Backhausen: Baumwolle ist in den letzten zwölf Monaten und 70 bis 80 Prozent teurer geworden. Unter anderem auch deswegen, weil der Eigenbedarf von China selbst so eklatant gestiegen ist. Oder auch weil andere Dinge wie Soja angebaut werden. Klar ist, dass die Löhne steigen werden. Wir haben Nähereien in der Nähe von Peking besichtigt, wo in einem Gebäude 4.000 Näherinnen sitzen: Zehn Stockwerke in jedem Stockwerk 400, jede hat ein anderes Gewand an: Das eine Stockwerk rosa, das nächste blau. Wenn man den Leuten an der Nähmaschine zuschaut, so sehen die gar nicht so unglücklich aus. Vermutlich sitzen sie lieber hier, als in irgendeinem Reisfeld zu stehen. Nur irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo sie sich nicht mehr mit 50 Dollar im Monat abspeisen lassen. Es wird auch notwendig werden, dass China sich mit Umweltauflagen beschäftigt. Wenn Sie interessiert sind weiter nach Europa zu liefern, müssen sie auch ihre Umweltstandards überdenken und das kostet Geld. Man wird also in China nicht auf diesem Preislevel bleiben können.

derStandard.at: Das ist die langfristige Perspektive. Wie sieht es kurzfristig mit den Textilpreisen aus?

Backhausen: Es wird zu Erhöhungen kommen müssen, allerdings nicht generell. Das hängt auch von den einzelnen Firmen ab. Mit Baumwolle haben sich einige eingedeckt, als sie noch billiger war. Wer die Läger runter gefahren hat, muss jetzt um 70 bis 80 Prozent teurere Baumwolle einkaufen. Das kann man nicht eins zu eins weitergeben. Aber eine Preissteigerung von fünf bis sechs Prozent wird wohl in den nächsten Monaten notwendig sein.

derStandard.at: Oder wir bekommen mehr Polyacryl- statt Baumwollsocken.

Backhausen: Man überlegt sich sehr wohl, mit welchen Materialien man in Zukunft arbeiten wird. Baumwolle ist nicht so gesund, wie das immer dargestellt wird – wenn man die eingesetzten Chemikalien in Rechnung stellt und auch den wahnsinnig hohen Wasserverbrauch. In Österreich ist Lenzing mit einer Alternative wie Viskose, die in vielem eine gleichwertige Eigenschaft hat wie Baumwolle, sehr stark. Modal zum Beispiel ist eine Faser, die auf Holz beruht. (Regina Bruckner, derStandard.at, 20.10.2010)