Inszenierungen im Namen der Rettung des christlichen Abendlandes: Der Mönch Marco d'Aviano, "Seele der Befreiung Wiens" von den Osmanen 1683, wurde schon von Kanzler Dollfuß instrumentalisiert (hier das Denkmal in der Wiener Kapuzinerkirche).

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Auch FP-Chef Strache griff die Symbolik bei einer Demonstration gegen ein islamisches Kulturzentrum auf.

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Der Kulturwissenschafter Johannes Feichtinger (li.) und der Sozialanthropologe Johann Heiss: Anhand von Denkmälern legen sie die Mechanismen frei, die zur Überlieferung eines jahrhundertealten Feindbilds führten.

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Übermächtig blickt die Bronzefigur von Marco d'Aviano aus ihrer Nische in der Kapuzinerkirche hinaus auf den Neuen Markt, mitten in die Wiener Innenstadt. Mit grimmiger Miene scheint der Mönch nach vorne zu schreiten. Bereit, mit dem Kreuz, das er hoch erhoben in der rechten Hand hält, jeglicher Gefahr zu begegnen. "Die Seele der Befreiung Wiens - 12. September 1683" ist in den Sockel eingemeißelt, eingefasst von einem Gitter, in das Türkenfiguren mit Säbel und Turban eingearbeitet sind.

Genau dieser Symbolik bediente sich FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache, als er im Mai 2009 während des EU-Wahlkampfs bei einer Demonstration gegen den Bau eines islamischen Kulturzentrums ein Kreuz schwang und dabei zur Verteidigung des christlichen Abendlandes aufrief. Zuletzt nahm er in Form eines wahlkämpfenden Comic-Helden ganz explizit Bezug auf die Türkenbelagerung von 1683. Nicht nur er: Warnungen vor einer "dritten Türkenbelagerung" gehören längst zum Jargon von Rechten.

"Wir wollen herausfinden, wie das Feindbild ,Türke' konstruiert ist, sodass Akteure wie Strache immer wieder darauf zurückgreifen und es sofort aktivieren können", sagt der Sozialanthropologe Johann Heiss, der gemeinsam mit dem Kulturwissenschafter Johannes Feichtinger die Wurzeln der Hetze gegen Islam und Türken wissenschaftlich aufarbeitet. Den Boden dafür sehen sie in der Befreiung Wiens von osmanischen Truppen 1683. "Seither wurde das Gedächtnis daran immer wieder aktualisiert. Es geht uns darum, die Mechanismen aufzudecken, mit denen derartige Feindbilder über Jahrhunderte überliefert werden."

Ausgehend von der massiven Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei seitens der Österreicher - bei der letzten Eurobarometer-Umfrage 2006 zu diesem Thema rangierte Österreich mit rund fünf Prozent Zustimmung auf dem letzten Platz - haben die beiden Forscher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) das Forschungsprojekt "Shifting Memories - Manifest Monuments" gestartet, das noch bis 2011 vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wird. Ende vergangener Woche wurde das Thema bei einer internationalen Tagung in Bad Radkersburg diskutiert.

Stellvertreterfunktion

"Die Angst vor einer Bedrohung aus dem Osten scheint sehr tief im kollektiven Bewusstsein der Österreicher verankert", stellen Heiss und Feichtinger fest. "Immer wieder werden anhand von Türken Bedrohungsszenarien aufgebaut und Ängste geschürt. Es wäre aber falsch zu sagen, dass das nur heute ein Problem ist. ,Der Türke' hat eine lange eingeübte Stellvertreterfunktion und diente in der Vergangenheit immer wieder als Schablone für jeweils aktuelle Feinde."

Im Zentrum ihrer Forschungsarbeit stehen jene Denkmäler, die an die Türkenbelagerung erinnern, sowie die damit verbundenen Inszenierungen und Feierlichkeiten, insbesondere zu den Jubiläen der Befreiung Wiens am 12. September 1683. Standen "die Türken" anfangs noch für alle Ungläubigen, so wurde zur 100-Jahr-Feier 1783 eine Parallele von den Türken zu den Aufklärern gezogen. 1883 nutzten Liberale und Katholiken das Gedenken, um jeweils die anderen mit den Türken gleichzusetzen. 1933, zum 250. Jubiläum, versuchten die Austrofaschisten, sich mithilfe des Gedenkens an 1683 gegen Nationalsozialisten und "Bolschewiken" abzugrenzen.

Zu diesem Anlass holte Kanzler Engelbert Dollfuß den Kapuzinermönch Marco d'Aviano aus der Versenkung, der die christlichen Heerscharen vor der entscheidenden Schlacht am Kahlenberg geeint haben soll. "Dollfuß wurde Seite an Seite mit d'Aviano inszeniert", berichtet Johann Heiss. Dollfuß regte auch die Errichtung eines Denkmals für den "Retter des christlichen Abendlandes" an. Die Figur vor der Kapuzinerkirche wurde allerdings erst 1935, nach seiner Ermordung, eingeweiht.

Die "Türkenbefreiungsfeiern" 1983 wiederum standen im Zeichen des Antikommunismus. "Seit 1989 ist auch dieser Feind abhanden gekommen, und spätestens seit 9/11 repräsentieren die Türken das aktuelle Feindbild Islam", sagt Feichtinger. Dabei gehe es stets um Abgrenzung, um Identitätsstiftung, um die Schaffung eines Wir-Gefühls, erklären die Wissenschafter die wechselnde Einsetzbarkeit des Feindbildes. "Die Religion spielt dabei eine untergeordnete Rolle, sie ist eher ein propagandistischer Vorwand", sagt Heiss.

Manifestationen des Feindbilds "Türke" finden sich auch in den knapp 200 Denkmälern in Wien, die Heiss und Feichtinger in Zusammenarbeit der ÖAW-Institute für Sozialanthropologie sowie für Kulturwissenschaften und Thatergeschichte dokumentieren und analysieren. Sie reichen von Türkenkugeln, Malereien und Gedenktafeln auf Häusern über umbenannte Straßen, Wohnanlagen oder Flächen wie den Türkenschanzpark bis hin zu großen Denkmälern in Kirchen und im öffentlichen Raum. Selbst die Namensgebung des heutigen Bezirks Mariahilf geht auf die Türkenbelagerung zurück. Manche der Monumente, wie etwa die Kapistrankanzel an der Außenseite des Stephansdoms, stellen unmissverständlich die Türken als erniedrigte, primitive Figuren dar.

Wo sich diese Denkmäler und Spuren befinden, unter welchen Umständen sie entstanden und welche Bedeutung sie bei der Konstruktion des Feindbilds "Türke" haben, zeigt die Projekt-Webpage. Per Stadtplan, Zeitleiste, nach Alphabet und Entstehungsdatum geordnet können die Denkmäler abgerufen werden, verlinkt mit Querverweisen und weiterführenden Infos. An einer Ausdehnung des Projekts auf Niederösterreich, Burgenland und Steiermark, Ungarn und Polen wird gearbeitet. "Es geht uns um eine kritische Auseinandersetzung mit diesem kulturellen Erbe", sagt Feichtinger.

Bedrohung und Sieg

"Entscheidend sind die Szenarien Bedrohung und Sieg, die jeder seit der Volksschule mit der Türkenbelagerung verbindet", sagen die Wissenschafter. "Mit der Hoffnung auf einen Sieg über jede neue Bedrohung kann immer noch politisches Kapital daraus geschlagen werden. So funktioniert das Türkengedächtnis." So wie auch die Metapher von Wien (oder Österreich) als Bollwerk gegen den Osten nach wie vor bestehe, auch wenn sie durch die Idee von Wien als Brücke zwischen West und Ost und den jeweiligen Kulturen ergänzt wurde.

"Heute ist es das Schlagwort ,Festung Europa', das die Abgrenzung ermöglicht", sagt Heiss. Um dem Feindbild "Türke" den Boden zu entziehen, könne man nur eines tun, sind sich beide Forscher einig: "Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Identität hauptsächlich von nationaler Zugehörigkeit geprägt ist. Dann könnten wir auch den Anderen, den Fremden, eher akzeptieren. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 20.10.2010)