Lehrwerkstätten-Geschäftsführer Reinhard Weidinger mit Lehrlingen, die zur pharmazeutisch-kaufmännischen Assistentin ausgebildet werden.

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Kathi will Mediendesignerin werden, schon in der Unterstufe des Gymansiums habe sie sich dafür interessiert. Später besuchte sie eine HTL, brach aber ab, weil es dort vor allem um das schwierige Programmieren ging. Jetzt wird sie in den Lehrwerkstätten von Weidinger & Partner unterrichtet. "Ich würde gerne bald wieder ein Praktikum machen."

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Egzon ist im zweiten Lehrjahr der Koch/Kellner-Ausbildung: "Hier taugt es mir."

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Lehrlingsexperte Egon Blum kritisiert jene AMS-Lehrstellen, die nicht in "echten" Betrieben, sondern in Lehrwerkstätten untergebracht sind.

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Schwarze Hosen, schwarze Jacken, kurz geschorene Haare. Die Zigarettenpause ist vorbei, die Jugendlichen in der AMS-Lehrwerkstätte Weidinger & Partner am Mexikoplatz im 2. Wiener Gemeindebezirk steigen die Treppen hinauf in den 3. Stock, wo sie zum Koch/Kellner, Mediendesigner oder pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten ausgebildet werden. Heranwachsende, die in regulären Betrieben keine Lehrstelle finden, werden vom Arbeitsmarktservice (AMS) mitunter hierher vermittelt. 200 Trainer bilden in rund 30 unterschiedlichen Berufen aus. "Wir ersetzen den Lehrbetrieb mit unseren Lehrwerkstätten", erklärt Geschäftsführer Reinhard Weidinger. Die Finanzierung übernimmt zu einem großen Teil das AMS, zu einem geringeren Teil der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds der Stadt Wien.

Praktika in Betrieben

Die Auszubildenden besuchen die Berufsschule, mit der Praxis werden sie vorrangig nicht in Betrieben sondern in den Lehrwerkstätten vertraut gemacht. "Zusätzlich werden schulische Defizite wie Lesen, Schreiben, Rechnen sowie Sozialkompetenz nachgeholt", sagt Weidinger. Um den Berufsalltag aus nächster Nähe kennen zu lernen, absolvieren die Lehrlinge mehrere Praktika zu je vier Wochen in unterschiedlichen, "echten" Betrieben außerhalb der Lehrwerkstätten. "Bestimmte Dinge können wir hier nicht so gut vermitteln, zum Beispiel wenn es darum geht, betriebliche Realitäten wie den Stressfaktor in einer Restaurantküche nachzustellen", erklärt Weidinger. Andererseits wird in den Lehrwerkstätten sehr viel geübt, es gibt weniger Leerläufe als in echten Betrieben. Für die Praktika stehen rund 1.200 Unternehmen zur Verfügung, pro Jahr werden 4.000 Verträge abgeschlossen.

Übernahme in reguläres Lehrverhältnis

Wer sich in einem der Praktika bewährt hat die Chance, vom jeweiligen Betrieb in ein reguläres Lehrverhältnis aufgenommen zu werden. "Im Schnitt sind das 35 bis 40 Prozent der Jugendlichen, in manchen Berufen bis zu 70 Prozent", so Weidinger. Rund ein Viertel bricht die AMS-Maßnahme vorzeitig ab, ein gutes Drittel beendet die Ausbildung bei Weidinger & Partner. Nach drei bis vier Jahren "Aufbewahrungsstelle" stehen die Jugendlichen dann erst recht ohne Job da, sagen Kritiker. Wer am Ende zwar fertig ausgebildet aber ohne Arbeit ist, dem wird bei der Jobsuche geholfen.

Kritik an AMS-Lehrplätzen

Der Vorarlberger Lehrlingsexperte Egon Blum bezweifelt, dass diese Art von AMS-Lehrplätzen qualitativ mit betrieblichen Lehrstellen mithalten kann, da die Institutionen nicht dieselbe Ausbildungsberechtigung aufweisen müssen. "Sie werden von den Landeslehrlingsstellen nicht als solche kontrolliert, da die Zuweisungskompetenz für diese Zielgruppe - durchwegs lernschwache Jugendliche - beim AMS liegt", sagt Blum, der von 2003 bis 2008 Regierungsbeauftragter für Jugendbeschäftigung und Lehrlingsausbildung war. Jugendliche in den Lehrwerkstätten erhalten Ausbildungsverträge, keine Lehrverträge im herkömmlichen Sinn. Zudem seien die Plätze "extrem kostenaufwändig", nicht städtische Gebiete würden benachteiligt, weil hier das Berufsangebot vergleichsweise gering sei.

"Ausbildungsplatz wie jeder andere auch"

Für Blum steht fest: "Die als AMS-Lehrlingsausbildung 'verkauften' AMS-Aktivitäten sind als soziales Engagement akzeptabel, nicht aber als Beitrag zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses zu bewerten." Reinhard Weidinger sieht die Sachlage freilich anders: Die AMS-Lehrstellen seien Ausbildungsplätze wie jeder andere auch, für die Jugendlichen sei die rechtliche Bezeichnung nicht relevant.

In Zukunft weniger AMS-Plätze

Für dieses Jahr wurde das "Auffangnetz" der AMS-Lehrstellen noch einmal aufgestockt: Im Jahr 2010/2011 befinden sich rund 13.800 Personen in einer AMS-Lehrlingsausbildung. Rund die Hälfte der Lehrlinge wird in Lehrwerkstätten wie Weidinger & Partner unterrichtet. Der andere Teil ist zwar in regulären Betrieben untergebracht, die Kosten der Ausbildung übernimmt aber das AMS. Weil die Zahl der 15- bis 19-Jährigen in Zukunft sinkt, soll die Gesamtzahl der AMS-Lehrstellen bis 2014 um 40 Prozent reduziert werden.

Lösungsansätze

Um die Lehrlingsproblematik in den Griff zu bekommen, fordert Blum die Schaffung weiterer Lehrstellen in den heimischen Unternehmen. Gleichzeitig gelte es, Betriebe zu unterstützen, wenn diese mehr oder gleich viele Lehrlinge aufnehmen wie bisher.

Mittelfristig sei es wichtig, dass Jugendliche einerseits Kulturtechniken wie Schreiben oder Rechnen besser beherrschen. Andererseits sollte den Jugendlichen bewusst gemacht werden, wo ihre Talente und Fähigkeiten liegen. "Es nützen die aufwändigsten Berufsberatungen und Lehrstelleninformationen nichts, wenn die betroffenen Kinder und Schüler nicht bis spätestens zum 14. Lebensjahr über ihre eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten, Talente und Bedürfnisse Bescheid wissen." Das Potenzial der Jugendlichen - besonders jener mit nicht deutscher Muttersprache - sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft, so Blum.

Reinhard Weidinger würde die von der Regierung gewährte Ausbildungsgarantie am liebsten in eine Ausbildungspflicht umwandeln. Der Anteil an 15-jährigen, die frühzeitig aus dem Bildungssystem aussteigen, sei bei weitem zu hoch.

"Als junge Erwachsene für voll genommen"

Am Mexikoplatz wird in der Küchen-Lehrwerkstätte gerade Apfelstrudelteig geknetet, in einem anderen sitzen künftige Mediendesigner vor ihren Bildschirmen. Die Lifttüre geht auf, ein paar Jugendliche sind verbotenerweise mit dem Lastenaufzug gefahren. "Das kommt ab jetzt nicht mehr vor", ruft Weidinger ihnen in strengem Ton hinterher. Die Jugendlichen brauchen viel Klarheit, sagt er. Wer zu spät kommt, dem werden acht Euro pro Tag vom Verdienst - 240 Euro im ersten und zweiten, 555 Euro im dritten und vierten Lehrjahr - abgezogen. "Aber sie merken hier auch, dass sie als junge Erwachsene für voll genommen werden. Hier machen sie die Erfahrung, dass ihr Handeln Konsequenzen hat, aber ohne dass jemand mit ihnen herumschreit." (Maria Kapeller, derStandard.at)