Die Vernaturwissenschaftlichung aller Lebensbereiche ist ein Charakteristikum des 19. Jahrhunderts. Detaillierte Kochrezepte mit konkreten Mengen und Zeitangaben lösten vage Beschreibungen ab. Wirtschafts- und Haushaltsbücher hielten Einzug in die Küche. Wo vor allem im ländlichen Bereich die Koch- und Backzeit oft in Vaterunser angegeben wurden, etablierte sich in den 1870er-Jahren das Gewichtssystem. Es erfolgte eine Vereinheitlichung der Maße.

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Die durch den US-Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856-1915) initiierte Rationalisierungsbewegung des Taylorismus hatte die möglichst effiziente Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen als Ziel. Nicht nur der Raum, sondern auch die Bewegungsabläufe des Menschen wurden rationalisiert. So sollte nach dem sozialdemokratischen Gedanken durch möglichst effiziente Arbeitsabläufe Freiraum für Rekreation geschaffen werden.

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Im Bild die Vorläuferin der Frankfurter Küche im Wohnungsmuseum Gemeindebau Rauchfangkehrergasse. Die Wohnung des Architekten Anton Brenner wurde vom Verein "Zeit!Raum" unter Anleitung des "Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung" im Zustand von 1925 restauriert.

Die Idee des Taylorismus manifestierte sich in Form einer Verdichtung des Wohnprozesses im Arbeitersiedlungsbau und hielt auch Einzug in die Küche. Die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky versuchte mit ihrer "Frankfurter Küche" die rationalisierte und systematisierte Essens-Zubereitung in den Speisewagen der Züge umzusetzen. "Die kurzen Wege und die hohe Effizienz gingen allerdings auf Kosten der sozialen Funktion", so Christian Stadelmann, Kurator der Ausstellung "Alltag - eine Gebrauchsanweisung" im Technischen Museum Wien. Die Küche als großer Raum mit einem Esstisch im Zentrum hatte in den Gemeindebauten keinen Platz.

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"Die 'Taylorisierung' der Gesten ist mit einer Normalisierung der Werkzeugköpfe und der Produkte verbunden, mit einer intensiven Anpassung an die kontinuierliche Kreisbewegung (Rotation, Drehungen, Kreisel...), mit einer undifferenzierten Behandlung des Werkstoffs. Dann kommt es zunehmend zur Einführung mechanischer Automaten." André Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst, S. 318.

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Die Mechanisierung der Haushalte erfolgte aufgrund der Vielfalt der Tätigkeiten und der eingeschränkten wirtschaftlichen Kraft später als die Mechanisierung der Industrie. Ziel war, die Bewegungsabläufe des menschlichen Körpers - in der Küche vor allem der Hand - möglichst perfekt zu imitieren und zu automatisieren.

"Die Idee, eine Reihe technischer Gesten mechanisch zu verwirklichen, tritt sehr langsam in historischen Zeiten hervor. (...) Als Spezialist für Abläufe und Bewegungen kombiniert der Uhrmacher im Spiel der Zahnräder und Hebel die kreisförmige mit der geradlinigen Bewegung durch die Verwendung von Pleuelstangen und verwirklicht so bereits im Mittelalter die einfachen Programme der ersten bewegten Uhren und Automaten." Leroi-Gourhan, S. 312.

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Jedes Material verlangt unterschiedliche Behandlungsmethoden und damit unterschiedliche Werkzeuge. Schneiden, rühren, kneten, hacken, schlagen, pressen... "Man versuchte, diese meist auf einer Rotation beruhenden Bewegungen zu mechanisieren und mit einem Elektromotor anzutreiben. Das ist jedoch nicht als evolutionär und auch nicht als chronisch linear, sondern als mechanische Sortierung zu betrachten", betont Stadelmann. "Der Versuch, alles mit einem Motor auszustatten, bedeutet nicht unbedingt eine Verbesserung." So sind die alten Kulturtechniken des Kochens nicht durch Maschinen und Apparate abgelöst, sondern ergänzt worden. Schneeruten kommen heute ebenso zum Einsatz wie Handmixer, Messer wie Cutter, Nudelwalker wie Nudelmaschinen.

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Der Küchenmotor Protos von ca. 1928 ist ein rares Stück sowie Link zwischen der vor-elektrifizierten und elektrifizierten Zeit. Für jede einzelne Funktion diente ein anderer voluminöser Aufsatz: Kaffeemühle, Reibe, Saftpresse, Eismaschine, Brot- und Aufschnitt-Schneidemaschine. Für den Motor und sämtliche Aufsätze musste ein eigener Schrank angeschafft werden. Ein Aufwand, den sich nur großbürgerliche Haushalte leisten konnten.

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"Im Verlauf der menschlichen Evolution vervielfältigt die Hand ihre Aktionsmodi im Operationsprozess: Auf die manipulative Aktivität der Primaten, in der Geste und Werkzeug miteinander vermischt sind, folgt mit den ersten Anthropinen die Aktivität der Hand in direkter Motorik, bei der das manuelle Werkzeug von der motorischen Geste ablösbar wird. Auf der folgenden Stufe (...) annektieren die manuellen Maschinen die Geste, und die Hand steuert in indirekter Motorik lediglich noch den motorischen Antrieb bei. Im Laufe der historischen Zeiten verlässt auch die motorische Kraft den menschlichen Arm, die Hand löst den motorischen Prozess in den tierischen Maschinen oder den automotorischen Maschinen wie der Mühle aus. Im letzten Stadium (...) löst die Hand einen programmierten Prozeß in den automatischen Maschinen aus, die nicht nur das Werkzeug, die Geste und die Motorik exterriorisieren, sondern auch das Gedächtnis und das menschliche Verhalten ursurpieren. (...) Dabei bewahrt das menschliche Gehirn sämtliche Etagen, die es seit den Fischen erworben hat, und jede dieser Etagen bewahrt auch nach der Überlagerung durch die jeweils neuere eine Rolle in den entwickelten Formen des Denkens." Leroi-Gourhan, S. 302.

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Der Einsatz des Elektromotors im Haushalt ließ den Ruf nach einer "Universalmaschine" laut werden. Ein Motor und mehrere Aufsätze erfüllten verschiedene Funktionen: Rühren, Staubsaugen, Haare Trocknen, Zerstäuben...

"Die automatische Maschine kann auf spezielle Weise arbeiten, ist aber nicht auf ein Produkt beschränkt. Wie unsere Hände und Finger, die viele Aufgaben bewältigen können, verkörpert die Automatisationseinheit ein Anpassungsvermögen, das dem vorelektrischen und mechanischen Zeitalter völlig fehlte. Das ist die strenge Logik der industriellen Automation. Alles, was wir früher mit großem Aufwand und durch starke Koordination erreichten, bringen wir nun mit der Elektrizität mühelos zustande." Marshall McLuhan, absolute, S. 174.

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Mit dem Einzug des Kühlschranks in die Haushalte der 1950er-Jahre wandelte sich die Geschichte des Konservierens. Die Vorratshaltung verlor an Bedeutung. Tätigkeiten wie Einkochen und -wecken, Räuchern, Pökeln oder Dörren wurden angesichts der Möglichkeit zur Lagerung frischer Lebensmittel von der Küche auf spezialisierte Dienstleister und Industrie verlagert.

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Für jeden Liter Tee musste früher der Herd eingeheizt werden. Ein hoher Energieverbrauch für ein geringes Ergebnis, vor allem wenn der Raum bei milden Außentemperaturen nicht beheizt werden musste. Die ersten E-Herde fanden in den 1950er-Jahren Einzug in die Haushalte und wurden vorwiegend als Zusatzherde eingesetzt. Sie lösten die frühen elektrischen Wasserkocher ab. Erst in den 1990er-Jahren erfolgte durch die ökonomische Weiterentwicklung eine Renaissance des Wasserkochers.

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Der britische Teeautomat bereitet den Tee bereits vor dem Aufwachen zu. Zur Weckzeit wird die Kochplatte aktiviert, durch ein Steigrohr bewegt sich das aufgeheizte Wasser in die Kanne mit den Teeblättern. Dadurch wird ein Gewichtsschalter entlastet, der die Weckfunktion auslöst.

"Die Automation ist nicht eine Erweiterung der mechanischen Prinzipien der Aufteilung und Trennung von Handlungen. Sie bedeutet viel mehr den Einbruch der Unmittelbarkeit der Elektrizität in die mechanische Welt. Deshalb betonen jene, die mit der Automation zu tun haben, dass diese genauso eine Denkweise wie eine Handlungsweise darstelle." McLuhan, absolute, S. 170.

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Die E-Wirtschaft propagierte das Kochen am E-Herd im Gegensatz zur offenen Flamme als "ungefährlich" und "sauber". "Als Strom in Form der ersten Haushaltsgeräte Einzug in den Wohnbereich hielt, konnten ihn die Menschen als Materie nicht fassen", erzählt Stadelmann. Aufklärungsarbeit und Propaganda waren notwendig, dabei bediente man sich Mythen und Märchen Die Arbeit der Hausfrau wird "von elektromagnetischer Hand", von Feen und Heinzelmännchen erledigt. Die Hersteller griffen den allgemeinen Wunsch auf, die Hausarbeit solle "von selbst" erledigt werden.

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"Die Etablierung des E-Herdes war keine logische Entwicklung des Kochens. Sie erfolgte aus wirtschaftlichen und politischen Überlegungen", weiß Stadelmann. Bis 1930 war Elektrizität viel zu teuer um sie für das Kochen einzusetzen. Der E-Herd kam mit der Weltwirtschaftskrise. "Der E-Wirtschaft kamen die Abnehmer in der Industrie abhanden. So begann man mit der günstigen Produktion von E-Herden und mit Kampfpreisen beim Strom. Das Geschäft sollte über die Masse gemacht werden. Das hat auch funktioniert, außer in Wien, wo das Gas etabliert war." Heute setzt der Wohnbau in Wien auf Fernwärme. Die neuesten Induktionsplatten erkennen automatisch Größe und Position der Töpfe und Pfannen und erhitzen sie exakt an der Stelle, wo sie stehen.

"Physiologisch wird der Mensch bei normaler Verwendung seiner technischen Mittel (oder seines vielseitig erweiterten Körpers) dauernd durch sie verändert und findet seinerseits immer wieder neue Wege um seine Technik zu verändern." Marshall McLuhan. (tin, derStandard.at, 18.10.2010)

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