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Die französische Volksseele kocht, und die Gewerkschaften bieten im Kampf gegen die Rentenreform ihre letzten Mittel auf.

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Ist es echte Gelassenheit - oder Angst vor der Eskalation? "Kein Grund zur Panik", beruhigte Dominique Bussereau angesichts der langen Autoschlangen vor den Tankstellen. Hamsterkäufe seien unnötig - und der einzige Grund, dass es bei rund 200 Tankstellen zu "Störungen" komme. Keine einzige sei aber leer, behauptete Frankreichs Transportminister.

Bussereau wurde nur Stunden später von seiner eigenen Regierungskollegin desavouiert. Wirtschaftsminister Christine Lagarde meinte, nur "230 Tankstellen von 13.000, also ungefähr zwei Prozent", seien wirklich ausgepumpt.

Treibstoff knapp?

Halbwegs gesichert scheint nur die Kerosinzufuhr. Der Präsident der französischen Erdölunion, Jean-Louis Schilansky, dementierte Meldungen, im größten Pariser Flughafen Charles de Gaulle gehe gar schon am Montag der Treibstoff aus. Es stimme zwar, dass die zwölf Ölraffinerien des Landes bestreikt würden und gesperrt seien, die auf Wochen gefüllten Treibstofflager blieben jedoch für die Tanklaster weitgehend frei zugänglich. Die Regierung erlaubte ihnen am Wochenende ausnahmsweise, die Tankstellen mit Sprit zu versorgen.

Damit sucht Präsident Sarkozy die Lage so weit wie möglich zu entspannen. Heute, Montag, wollen die Eisenbahner ihre Arbeitsniederlegungen intensivieren. Etwa die Hälfte des Zugverkehrs könnte dadurch gestört werden.

Die im Transportsektor führende Gewerkschaft ruft die Lkw-Fahrer außerdem ab Montag zu Solidaritätsaktionen auf. Sie könnten Treibstofflager oder Hauptverkehrsachsen sperren und damit echte Versorgungsengpässe bewirken. Vereinzelt streiken auch die Geldtransporteure, sodass in Städten wie Chambéry Bargeldautomaten am Sonntag leer waren.

Probleme

Wenn Gewerkschafter ihre letzten Mittel in die Schlacht werfen, hat dies auch, aber nicht nur mit dem Fortschritt der Parlamentsdebatte über die Rentenreform zu tun. Mitte der Woche dürfte nach der Nationalversammlung auch der Senat die Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre gutheißen. Überdies beginnen am Samstag Herbstferien. Das könnte Spontandemos der Mittelschüler die Spitze brechen. Die Gewerkschaften brachten am Samstag ihrerseits nicht mehr ganz so viele Demonstranten auf die Straße wie an den vier vorhergehenden Aktionstagen. Ihre Hoffnung liegt deshalb auf den Spediteuren und den Mittelschülern, die schon weit in ihre Zukunft denken; laut Spruchbändern haben sie "keinerlei Bock, bis 70 zu malochen".

Umgekehrt fürchtet die Regierung am meisten die unkontrollierbaren, aber populären Schülerproteste. In Paris wäre es fast eskaliert, als ein Gummigeschoß einen 16-Jährigen am Auge traf und eine Notoperation nötig machte.

Die Polizei darf nun keine Flashballs mehr einsetzen. Übersteht die Regierung die Streiks einigermaßen unbehelligt, kann sie wohl aufatmen. "Das Elysée beansprucht fast schon den Sieg", titelte Aujourd'hui am Sonntag. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2010)