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Foto: APA/EPA/Okten

Taxifahren kostet nicht allzu viel in Istanbul, und die mitfahrenden Lebenseinsichten gibt es umsonst dazu. Woher Taxifahrer im allgemeinen ihre Weisheit nehmen, ist noch unerforscht, zumal diese Weisheit von Stadt zu Stadt stark variiert. Neben politisch weit rechts außen fahrenden Straßburger Taxichauffeuren und ihre Lebensunlust aussitzenden Wiener Kollegen kurvt der Istanbuler Taxifahrer jedenfalls zwischen Europa und Asien, wobei ihn der Verkehr außerordentlich duldsam gegenüber den Menschen gemacht hat. Das sind natürlich grob über den Kamm geschorene Annahmen, und wahrscheinlich wäre es zum Beispiel besser gewesen, die Tür von Ahmets Taxi (Bebek - Besiktas, 17 Türkische Lira) wäre nie aufgegangen.

Die Unterhaltung beginnt angesichts der teuren Restaurantterassen in Bebek, die vor den Fensterscheiben vorbeirollen, knapp hinter der zweiten Bosporusbrücke. „Was lässt uns sagen, diese Menschen sind reich?", fragt Ahmet mit belehrendem Unterton - er spricht ein relativ gutes Englisch -, „ich bin reich, aber ich sitze dort nicht", stellt er fest, was richtig ist, weil er fährt ja Taxi. Es geht also um innere Werte und so weiter, einverstanden. „Diese Menschen werden vor Gott treten, und er wird sie fragen, was sie gemacht haben." Ok, das wird dann wahrscheinlich nicht gut ausgehen, weil nachmittags um drei in Bebek teuren Fisch mit Wein hinunterspülen auf den ersten Blick keine moralisch ansprechende Leistung ist. Lieber Themenwechsel, wir sitzen ohnehin im Stau, das Taximeter ist eingefroren. Was denken die Türken heute über ihre Armee? Ahmet weiß Bescheid: „Unsere Generäle paktieren mit Israel. Aber Gott sieht uns alle." Von da an geht es steil bergab. Ahmet, ein Mann Mitte 30 und offenbar mit Universitätsbildung, ist ein rhetorisch geschulter Islamist: Die Juden lügen, die Deutschen sind großartig, der Islam ist Gerechtigkeit - so geht das bis zur Anlegestelle in Besiktas. „Gott sieht uns alle", sagt Ahmet zum Abschied. Das kann man wirklich nur hoffen.

Zwischen Ahmet und Mehmet wiederum (Ümraniye - Moda, 26 TL plus 10 TL für die Fracht) liegen Welten. Der Taxifahrer legt ohne große Umstände die Rückbank um, schiebt die zwei länglichen Pakete in das Auto, spannt einen Gummi zwischen Kofferraumhaube und Stoßstange, fertig ist die Kiste. Wir sind in Ümraniye, im asiatischen Teil der Stadt, wo eine der beiden Filialen eines hinlänglich bekannten schwedischen Möbelhauses steht. Mehmet spricht Deutsch und hat Heimweh. „Ich will meine Kumpel in Wuppertal wieder sehen", sagt er. Man muss die länglichen Pakete mit einer Hand festhalten, weil der Gummi an der Kofferraumhaube doch nicht so stabil ist. Mehmet saust über eine Stadtautobahn in den Westen nach Kadiköy. „Ich mag Istanbul nicht", sagt er, „die Leute sind irgendwie komisch. Sie reden nicht miteinander." Dabei ist er schon 15 Jahre hier, sagt, dass er verheiratet sei und drei Kinder hätte, aber Wuppertal geht ihm nicht aus dem Kopf. „Wir hatten wirklich eine gute Zeit dort, ich vermisse meine Freunde", sagt Mehmet, mit einem Anwalt habe er schon wegen der Aufenthaltsgenehmigung gesprochen. „Es sieht gut aus", und nach einem fragenden Blick wegen der Familie, die doch hier ist: „Ich will nur ein-, zweimal im Jahr hin und bei den Kumpeln vorbeigucken." Mehmet war 16, als er mit seinen Eltern von Wuppertal nach Istanbul ging.

Für Bakim (Kadiköy - Sabiha Gökcen, 73 TL) war es zu früh. Kurz vor fünf Uhr morgens kommt er aus dem Taxibüro auf die Straße, vergisst, dass er der einzige im Laden war, und die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Wir sind auf dem Weg zum Flughafen auf der asiatischen Seite, die Frühmaschine nach Samsun geht um halb sieben. Bakim freut sich, dass er wieder Deutsch reden kann, der Ärger über die Bürotür ist längst verraucht. Seine Kinderwelt hieß Berlin-Rudow. Eigentlich kein angenehmes Pflaster, aber Bakim berichtet nur über Gutes. „Ich war der einzige Türke in der Klasse, ich habe mit den Deutschen Fußball gespielt, sie waren alle meine Freunde", erzählt er, „es war gar kein Thema, dass ich Deutsch lernen musste". Dann ist die Abzweigung zum Flughafen plötzlich gesperrt, wir müssen einen Umweg über eine andere Schnellstraße machen. „Als die Mauer gefallen ist, war alles anders in Berlin. Seitdem haben die Deutschen Probleme. Ihr Leben ist hart geworden." 1990 ging Bakims Familie zurück in die Türkei. Bakim hat Berlin nicht mehr gesehen, aber sein Deutsch hat sich der damals 15-Jährige behalten. Es ist seine Trophäe aus Rudow.