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"Was hier stattgefunden hat, ist beschämend - und nicht mitteleuropäischer Standard." Hannes Jarolim (SPÖ)

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"Die letzten Abschiebungen geben sehr zu denken. Es braucht eine Evaluierung des Fremdenrechts." Franz-Joseph Huainigg (ÖVP)

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"Unerträglich, wie das gehandhabt wird. Wir sollten uns dringend mit NGOs zusammensetzen." Petra Bayr (SPÖ)

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"Diese Abschiebungen machen mich zornig. Ist unser Land etwa reicher, seit die Zogajs weg sind?" Sonja Ablinger (SPÖ)

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Wien - Die Details, die zu den jüngsten Abschiebefällen bekanntgeworden sind, regen mittlerweile auch Politiker der Koalitionsparteien auf. Am Freitag forderte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) eine Evaluierung des Fremdenrechts durch eine unabhängige Expertenkommission: "Ich bin schon sehr, sehr ungeduldig, um nicht zu sagen, zornig."

Wie Bundespräsident Heinz Fischer verlangt auch Prammer, dass Kinder nicht in Gefängnisse und Schubhaftanstalten gesteckt werden dürfen. Genau das ist bei den achtjährigen Zwillingsmädchen vor ihrer Ausweisung in den Kosovo geschehen, nachdem sie von sechs bewaffneten Polizisten im Morgengrauen aus dem Schlaf gerissen worden waren. Eine vierzehnjährige Armenierin wiederum tauchte für kurze Zeit unter, weil sie Exekutivbeamte aus der Schulklasse abholen wollten.

Gesetzesvollzug soll human sein

Im Namen aller roten Abgeordneten und Bundesräte erklärte SPÖ-Klubobmann Josef Cap, dass der Vollzug der Gesetze unter Achtung aller Grundrechte human stattzufinden habe. Dies könne man jedoch bei diesen beiden Fällen nicht erkennen.

Mittlerweile fordern im SPÖ-Klub einige Abgeordnete allerdings schon dezidiert eine Reparatur des Fremdengesetzes. Die Oberösterreicherin Sonja Ablinger sagt zum Standard: "Diese Abschiebungen machen mich total zornig. In unserem Staat wäre diese Vorgangsweise nicht nötig." Ähnlich wie einst die Zogajs wären auch die Familien der Zwillinge und der 14-jährigen Armenierin gut integriert gewesen. Ablinger: "Ist unser Land reicher geworden, seit die Zogajs weg sind?"

Ähnlich sieht es ihre SPÖ-Kollegin Petra Bayr: "Es ist unerträglich, wie das alles derzeit gehandhabt wird." Bayr drängt darauf, dass sich SPÖ und ÖVP "dringend mit Menschenrechtsorganisationen zusammensetzen", um klarere Richtlinien für den humanitären Aufenthalt von gut integrierten Familien zu schaffen.

Hintergrund: Anlässlich eines Spruchs des Verfassungsgerichtshofes wurde das Gesetz im Vorjahr geändert. Gut integrierte Asylwerber mit negativen Bescheid, die vor Mai 2004 ins Land gekommen sind, können seitdem humanitären Aufenthalt beantragen, Ausgang freilich ungewiss. Bei allen anderen wird der humanitäre Aspekt im Verfahren mitgeprüft. In der Praxis entscheiden bei beiden Personengruppen aber meist die Sicherheitsdirektionen über ein Bleiberecht. Durch schwammige Vorgaben im Gesetz produzieren diese offensichtlich immer neue Härtefälle.

Gnadenakt gefordert

Auch SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim erklärt angesichts der jüngsten Abschiebungen: "Was hier stattgefunden hat, ist beschämend - und nicht mitteleuropä-ischer Standard. Diese Vorgangsweise ist verheerend."

Jarolim, selbst Rechtsanwalt, kann sich "einen Gnadenakt" für gut integrierte Familien mit Kindern vorstellen, die seit drei Jahren hier sind. "Das ist zumutbar", sagt er, "diese Leute sind ja keine unüberschaubare Menge. So könnte man für die Vergangenheit ein für alle Mal eine großzügige Geste setzen." Im Gegenzug kann sich der rote Justizsprecher vorstellen, den Familiennachzug für Zuwanderer etwas zu drosseln.

Schwarze Einsichten

Auch in der ÖVP gibt es ein erstes Umdenken. Joseph Huainigg, ÖVP-Sprecher für Menschen mit Behinderungen, haben die "schwierigen Fälle" der letzten Tage "schwer zu denken gegeben". Auch er plädiert für eine Lösung, die es ermöglicht, unter jahrelang andauernde Fälle einen Strich zu ziehen: "Wenn etwa Kinder einen Großteil ihrer Lebenszeit in Österreich verbracht haben, ist das ein Grund, sie nicht abzuschieben." Abschiebeverfahren, wie sie derzeit abgewickelt werden, gehören für Huainigg "dringend überwunden. Es ist darauf zu achten, dass man das besser macht."

Am Freitag meldete sich auch Wiens ÖVP-Frontfrau Christine Marek zur Abschiebung des Zwillingspaares wenige Tage vor der Wahl zu Wort: "Das war wirklich eine Zäsur für uns." Aber leider: "Da haben wir wenig Einflussmöglichkeiten gehabt." (Nina Weißensteiner, DER STANDARD-Printausgabe, 16./17. 10. 2010)