Wir haben verstanden", sagte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder nach der verlorenen EU-Wahl 1999. Er kündigte einen "Kampf um die Mitte" an und schnürte die Agenda 2010: das umfassendste Reformpaket seit Jahrzehnten. Es war eine Abkehr vom Populismus und eine Wende zu unpopulären, aber notwendigen Maßnahmen.

Wer die Reaktionen nach dem Wiener Wahlergebnis verfolgt, muss zum Ergebnis kommen: Die haben nichts verstanden - und nichts gelernt. Jörg Haider ist zwar tot, aber seine Themen und die Art, wie er sie in der Öffentlichkeit propagiert hat, leben weiter.

Dass jeder vierte Wähler in der Bundeshauptstadt für die FPÖ votiert hat, hätte allen anderen Parteien aufrütteln müssen. Es war zwar kein "Erdrutschsieg", wie einige Medien behaupteten, aber ein Signal, das schon nach der Steiermark-Wahl zwei Wochen davor aufleuchtete: Die FPÖ ist in alter Stärke wieder da.

Heinz-Christian Strache und seine Mannen sammelten in der Steiermark und in Wien nicht nur die Stimmen derjenigen ein, die sich vom Ausländeralarmismus angesprochen und von der Hetze einer als "soziale Heimatpartei" auftretenden FPÖ nicht abgestoßen fühlen. Aber nicht alle Wähler sind Teil des strammen Gesinnungstrosses. Er spricht die Unzufriedenen und die schlecht Ausgebildeten an; Menschen, die das Gefühl haben, keine oder zu wenige Chancen zu bekommen. Und die ihre Ängste nur auf "die" Ausländer projizieren.

Deshalb hätte die Reaktion der anderen Parteien in den vergangenen Tagen sein müssen: die Probleme anzupacken. Schlüsselthemen sind Integration und Bildung, beide Komplexe sind häufig miteinander verwoben. Es gibt Schwierigkeiten in Schulen mit Kindern, die zu wenig Deutsch können, die Mitschüler drangsalieren und Lehrerinnen nicht akzeptieren. Aber für Begleitlehrer, Förderstunden und spezielles Unterrichtsmaterial wurden Mittel gekürzt.

Darunter leiden alle: die Kinder, weil im starren Schulsystem auf jene Rücksicht genommen werden muss, die Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen; die Lehrerinnen und Lehrer, weil sie frustriert werden, die Eltern, weil ihre Erwartungen enttäuscht werden - obgleich Bildung nicht vererbt wird.

Was war die Reaktion der Politik in den vergangenen Tagen? Nicht das Ankündigen von Investitionen im Bildungsbereich, sondern das erneute Vorpreschen der VP-Landeshauptleute Erwin Pröll und Josef Pühringer - unterstützt von ihrem SP-Kollegen Hans Niessl - mit der Forderung, dass sie künftig für alle Lehrer zuständig sein wollen. Also mehr Macht für die Länder, zahlen soll weiterhin der Bund. Sie haben nichts gelernt: Der wuchernde Föderalismus ist Teil der Probleme dieser Republik.

Und dazu noch die Polizeiaktionen der Innenministerin. Integrationsbemühungen werden erst recht ad absurdum geführt, wenn Polizisten in ein Gymnasium geschickt werden, um ein Kind abzuholen. Das 14-jährige armenische Mädchen hatte gute Noten, spricht gut Deutsch. Auch Arigona Zogaj hatte gute Noten, die achtjährigen Zwillinge, die vergangene Woche in den Kosovo abgeschoben wurden, waren sogar Ministrantinnen.

Sie alle sind Lehrbeispiele für eine gelungene Integration. Die aber wird von der Regierung nicht aktiv betrieben. Ihr Unverständnis ist ihr Programm: den Umfragen zu folgen und der Wirklichkeit auszuweichen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.10.2010)