Warum machen die das?": Sofie Gråbøl bringt als "Kommissarin Lund" Licht ins Dunkel. Zum Beispiel auf die Frage, warum deutschsprachiges Fernsehen nicht untertitelt.

Foto: ZDF/Tine Harden

Kommissarin Sarah Lund (Sofie Gråbøl) und ihr neuer Kollege Ulrik Strange (Mikael Birkkjær).

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Lund versucht Kodmani (Ramadan Huseini) zu einer Aussage zu bewegen.

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STANDARD: Nach dem erfolgreichen ersten Fall war die Fortsetzung logisch. Für Sie auch?

Gråbøl: Nicht unbedingt. Ich fürchte nichts so sehr wie Routine und ließ mir für die Antwort Zeit.Das steckt in mir als Schauspielerin: Ich gehe in eine Rolle, lege sie danach ab und gehe zum nächsten Film. 

STANDARD: Warum sagten Sie zu? 

Gråbøl: Ich hatte nicht genug von ihr. Ich entdecke immer noch Geheimnisse an ihr. Dem Autor (Torleif Hoppe, Anm.) ging es offenbar genauso. Er wollte sich auch nicht wiederholen. Ich mochte seine Idee für die Fortsetzung.

STANDARD: Wie veränderte der erste Fall Sarah Lund?

Gråbøl: Sie hat in einer versteckten Weise einen sehr starken Charakter. Einerseits ist sie unsicher und weicht immer wieder aus. Andererseits ist sie bestimmt und ändert ihre Überzeugungen nicht. All die Verletzungen, die sie im ersten Fall davontrug, haben sie nicht härter gemacht, sondern verwundbarer. Die Mauer, die sie um sich gebaut hat, ist dünner.

STANDARD: Wie sie sich in der Männerwelt der Polizei behauptet, ist sehr speziell. Hickhack unter Kollegen interessiert sie nicht. Da werden Klischées in Frage gestellt?

Gråbøl: Das war für mich sehr wichtig, als wir diese Figur erfanden. Ich war sehr früh in den Entstehungsprozess eingebunden. Als ich dazustieß, gab es noch kein Drehbuch, nur die Idee einer Komissarin und eines Mordfalles. Ich hatte das Privileg, diesen Charakter mitzukreieren. Uns war relativ bald klar, dass wir nicht daran interessiert sind, eine Frau zu zeigen, die nur kämpfen muss, um sich in einer Männerwelt zu behaupten. Ich wollte einen anderen Weg gehen. Wir wollten eher wissen, was diese Frau antreibt? Nicht als Frau, sondern weil sie mit den hässlichsten Seiten menschlichen Verhaltens konfrontiert wird. 

STANDARD: Und was treibt sie an?

Gråbøl: Sie hat sehr viel Dunkelheit in sich. Das macht sie einsam und unfähig zu kommunizieren. Indem sie den Mörder ausschaltet, versucht sie ihre eigene Dunkelheit auszuschalten. 

STANDARD: Gab es Vorbilder?

Gråbøl: Ich wollte einen Menschen, der unfähig ist, zu kommunizieren. Der Grund war, dass die meisten meiner bisherigen Rollen emotionale, geschwätzige Frauenfiguren waren. Ich wollte all das abstreifen und eine Person, die ihre Emotionen nicht preisgibt. 

STANDARD: Wohl auch, weil das am schwierigsten zu spielen ist?

Gråbøl: Als wir zu drehen begannen, war ich frustriert, denn ich konnte die Rolle nicht spielen. Ich schaffte es nicht, einen Satz zu sagen, ohne ein Gefühl einzubringen. Ich lag eine Nacht lang wach und dachte nach: Warum zur Hölle, kann ich das nicht? Wen kenne ich, der sich so verhält, wie mir das vorschwebt? Die mir einfielen, waren allesamt Männer. 

STANDARD:  Lund nach Bronson?

Gråbøl: Ja, aber da war eine ganze Menge. Danach begann ich an sie zu denken, als sei sie ein Mann. Ich erzählte niemandem davon, aber das half mir sehr. Frauen sehen sich als Schauspielerinnen viel mehr verpflichtet, andauernd ihre Gefühle auszudrücken. Schauspieler dürfen in ihren Rollen verschwiegener sein. Es genügt, dass sie sagen: Hier bin ich, und, liebes Publikum, jetzt kommt gefälligst zu mir. 

STANDARD: Sarah Lund schaffte, was kaum noch einer Serie gelingt: Die Zuschauer Woche für Woche vor dem Fernseher zu versammeln. Wie erklären Sie den Erfolg?

Gråbøl: In Dänemark hatte die Serie 20 Folgen,und das Publikum hier bleibt nie hängen. Der Autor bestand darauf, einen Fall in einem derart langsamen Tempo zu erzählen. Ich vermute, dass die Zuschauer es vermissen, in die Tiefe vorzudringen. Wir neigen dazu, Zuschauer zu unterfordern. 

STANDARD: Auffallend ist die Optik der Serie: Ständig strahlt irgendetwas auf: Neonlichter, Taschenlampen, Blitzlichter. Leuchtfeuer für verängste Zuseher?

Gråbøl: So ähnlich. Wir wollten eine sehr, sehr dunkle Serie machen und das auch in den Bildern ausdrücken. Gleichzeitig war es genau diese Dunkelheit, die Zuseher am meisten irritierte. Sie fanden den Schalter ihrer Lampen nicht, um Licht zu machen. Wir erhielten unzählige Beschwerden. Die Strahlen bilden den Kontrast zur völligen Dunkelheit.

STANDARD: Wobei die Dunkelheit der skandinavischen Krimis offenbar anzieht: Wie kommt es, dass sie so beliebt sind?

Gråbøl: Wir haben wahrscheinlich ein Gefühl für die Dunkelheit, weil wir das halbe Jahr selbst in der Finsternis sitzen.

STANDARD: Wie war es, als Sie sich das erste Mal deutsch sprechen hörten? In Österreich läuft die synchronisierte Fassung.

Gråbøl: Mein erster Gedanke war: Warum machen die das? Es gibt Musik in einer Sprache und besonders bei Schauspielern: Unsere Stimme ist unser wichtigstes Werkzeug. Zuerst dachte ich also: Wie dumm, und dass die Synchronisation eine Form von Amputation ist. Aber als ich die deutsche Fassung sah, stellte ich fest, dass es gut und respektvoll umgesetzt wurde. Aber natürlich ist das nur die zweitbeste Wahl.

STANDARD: Würden Sie sich zu einer drittem Fall überreden lassen?

Gråbøl: Der Autor schreibt daran. Ich weiß, wenn er die Geschichte nicht interessant genug findet, weiß ich, dass es nichts wird. Ich empfinde genauso.

STANDARD: Wie kommen Sie mit der Synchronisation zurecht? In Österreich läuft die deutsche Fassung.

Gråbøl: Mein erster Gedanke war: Warum machen die das? Jede Sprache hat ihre eigene Musik. Die Stimme ist unser wichtigstes Werkzeug. Zuerst dachte ich: Wie dumm, und dass die Synchronisation eine Form von Amputation ist. Aber als ich die deutsche Fassung sah, stellte ich fest, dass es gut und respektvoll umgesetzt wurde. Aber natürlich ist das nur die zweitbeste Wahl.

STANDARD: Es gab eine Zeit, als Dogma-Filme in Dänemark Dogma waren. Sehnen Sie sich danach?

Gråbøl: Als ich vor vier Jahren mit Lars von Trier The Boss of it all drehte, hatte ich das Gefühl, dass das in gewissermaßen auch schon einstudiertes Drehens war. Deshalb war es Zeit, aufzuhören. Aber die Zeichen wurden absorbiert, und das halte ich für die bestmögliche Entwicklung. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 16./17.10.2010)