Wien - "Es geht auf, es geht los", donnerte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. Und weiter: "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gewerkschaften gesagt haben, es reicht, keinen Millimeter weiter." - Der Tag der Arbeit, der 1. Mai, stand ganz im Zeichen des Arbeitskampfs.
Der traditionelle Maiaufmarsch der SPÖ in Wien wurde vom Protest gegen die Pensionsreform der schwarz-blauen Koalition dominiert. Je nach Zählung kamen 100.000 bis 120.000 Maimarschierer auf den Rathausplatz - manche mit Friedensfahnen, die meisten aber mit roten Fahnen oder Schildern wie "Stopp dem Pensionsraub". Manche zeigten ihren Protest drastischer, trugen etwa einen Sarg und Tafeln mit "Hackeln bis zur Verwesung".
"Diese Regierung regiert gegen das Volk", konstatierte der Wiener Bürgermeister und SP-Vorsitzende Michael Häupl. Mit den Pensionskürzungen werde ein "Verelendungsprozess, der seinesgleichen sucht" in Gang gesetzt.
Sichtbares Zeichen
ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch freute sich über die vielen Maimarschierer. Seien sie doch ein sichtbares Zeichen gegen eine Politik, die gegen die Menschen gerichtet sei. Mit den Streiks am 6. Mai will sich die Gewerkschaft gegen diese Politik wehren: "Wir werden am 6. Mai den Kampf aufnehmen. Wer den Kampf nicht aufnimmt, hat schon verloren." Für Verzetnitsch sind die Streiks begründet: "Wer auf der einen Seite die Tür zuschlägt, muss das Klopfen der Faust auf der anderen Seite spüren." Immerhin habe die Gewerkschaft angeboten, an einer echten Pensionsreform mitzuarbeiten - Kanzler Wolfgang Schüssel habe die Tür aber zugeschlagen.
Gusenbauer hoffte neben den Streiks auf einen anderen Weg, die Pensionsreform zu verhindert. Er zweifelt, dass die FPÖ am 4. Juni die Pensionsreform im Parlament mitbeschließen werde. Die SPÖ werde im Parlament den Druck auf die Regierung erhöhen und Unterschriften sammeln, um eine Volksabstimmung über die "Pensionskürzungsreform" zu erreichen.
Die Grünen begingen traditionell einen Tag vor dem 1. Mai den Tag der Arbeitslosen. Auch ihr Chef, Bundessprecher Van der Bellen, zeigte Verständnis für die Streiks: Die unsoziale Pensionsreform, die Einführung von Selbstbehalten beim Arztbesuch würden die Bezieher kleiner Einkommen besonders treffen. "Es ist verständlich, dass die Gewerkschaft diese Einschnitte nicht kampflos hinnehmen will", meinte Van der Bellen. Dazu komme die "provokante" Beschlussfassung über den Kauf von Abfangjägern. Die unverhältnismäßigen Kürzungen bei der Pensionsreform seien weder aus fiskalischen noch aus anderen Gründen notwendig.
Tempo erhöhen
Kommenden Dienstag startet die Gewerkschaft mit Abwehrstreiks. In vielen Großbetrieben soll die Produktion stundenlang stillstehen, auch öffentliche Verkehrsmittel fahren nicht. Die Regierung reagierte auf die Streikvorbereitungen mit Ablehnung: "Ich halte die Streiks für verantwortungslos", meinte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein. Mit den Aktionen werde der Standort gefährdet. Dennoch macht auch die ÖVP-dominierte Beamtengewerkschaft bei den Streiks mit und hält Protestveranstaltungen ab, teils entfällt der Unterricht.
Mit den Streiks will der ÖGB die Regierung dazu bringen, die Pensionsreform zurückzustellen und mit den Sozialpartnern eine neue Reform zu erarbeiten. Sollte die Regierung nicht auf die Forderungen eingehen, schlägt Robert Wurm, Chef der Postbus-Gewerkschaft, vor, das Tempo der Gewerkschaft "wöchentlich" zu erhöhen - bis zum Generalstreik. Am 13. Mai sind Großdemos geplant. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2003, APA, eli)