Seitenblick im Ex-Postgebäude Murcia (links). Plakatprojekt von Bongore (Mitte). Metahaven markiert Export-Obst der Region. Ausstellungspavillons der Zukunft von Pablo Bronstein (rechts).

Fotos/Montage: Feßler

Dort diskutiert sie im Dialog mit Nordafrika Fragen zu ideologischer und physischer Begrenztheit.

Tiefes Grollen verhindert, dass man den Blick über das Meer auch nur im entferntesten genießen könnte. Eine Machtperspektive, wie der Kameraschwenk über die Kanone des Forts in Laurent Grassos Film verdeutlicht. Gleich zwei Festungen bewachen Cartagena im Südosten Spaniens. Unbehagen wird vom rau an den Fels klatschenden Meer und einem U-Boot verstärkt. Niedrige Frequenzen vibrieren in den Eingeweiden. Es braucht nicht viel, um zu begreifen, dass das Fremde, das von der Meerseite kommt, nicht willkommen ist. Die Filmeinstellungen wechseln quälend langsam, als wolle man jegliche Veränderung verneinen.

Dabei hat gerade Cartagena eine bewegte Geschichte. Seit der Gründung durch die Karthager waren nicht nur Römer, Vandalen und Westgoten in der Stadt, die eine der bedeutendsten spanischen Handelshäfen und größte Marinebasis am Mittelmeer ist. Mit dem 45 Autominuten entfernten Murcia, der Hauptstadt dieser trockensten und mit Wasserknappheit ringenden Region Europas, ist es Schauplatz der Manifesta8: Eine Gegend, geprägt vom ständigen Wechsel zwischen christlicher und maurischer Herrschaft. Naheliegend, dass der Dialog mit Nordafrika im Zentrum der achten nomadischen Biennale mit transeuropäischem Selbstverständnis steht; 16 Prozent Migranten leben an diesem Rand der Festung Europa. Bisweilen auch unter der Brücke. Spuren eines solchen Lebens hat Willi Doherty in zarten, aber eindringlichen Bildern festgehalten.

Eine von vielen Highlights in der Präsentation der Kuratoren rund um Bassam El Baroni (Alexandria Contemporary Art Forum, ACAF). Beim Wort genommen hat den Nordafrika-Dialog ein anderer der 110 Teilnehmer, Thierry Geoffroy. Mit Tropenhelm und Safari-Uniform tigert der "Artist Colonialist" durch die Stadt und initiiert Gespräche zwischen Bevölkerung und Immigranten. Trotz affiger Inszenierung ein Anfang des Dialogs. Das Lachen gefriert allerdings in seinem Ausstellungsraum im aufgelassenen San Anton Gefängnis: Die Order "North African only" erhält dort zusätzliche Bedeutung. Subtiler ein Projekt aus dem Manifesta-Parallelprogramm. Hi, I am european. Could you give me a job? plakatiert Bongore, auf seine Arbeitssuche im Senegal verweisend. Er bewarb sich um Jobs, die nur selten Ausländer machen. Auch in Murcia wird die schwerwiegende Arbeitslosigkeit "den Fremden" angelastet. Neben einem alten Postgebäude, einstigen Artilleriebaracken und einem ehemaligen Autopsie-Pavillon des 18. Jahrhunderts ist das Gefängnis, in dem während der Franco-Diktatur bis zu 1000 Häftlinge einsaßen, einer der ungewöhnlichsten von insgesamt 14 Ausstellungsorten.

Überwinden von Grenzen

In den teils winzigen Zellen versammelt das Kuratorenduo Chamber of Public Secrets (CPS) nicht nur Arbeiten, die migrantische Grenzthematik verhandeln. Vielmehr geht es auch um das Überwinden von geistigen Barrieren. Etwa wenn Filipa César eine Diskussion zwischen jüdischen und arabischen Studenten filmt.

Generell sind die von CPS ausgewählten Projekte stark von sozialer Interaktion geprägt. David Rych konfrontiert Halbwüchsige einer Jugendhaftanstalt mit Langzeit-Häftlingen, Wooloo Sehende mit blinden Stadtführern. Der Schwerpunkt zur Vormacht des Visuellen greift für das erfahrene Auge ein wenig zu sehr ins Pädagogen-Eck. Hier, wo zeitgenössische Kunsträume Mangelware sind und das Kulturbudget immer löchriger wird, ist die Manifesta ein Luxus, finanziert vom Tourismus. Es scheint also sinnvoll, sich um Akzeptanz und Nähe zum lokalen Publikum zu bemühen. Zur Eröffnung am vergangenen Wochenende hatte das aber nur sehr zaghaft vorbeigeschaut. Insgesamt erwartet man 80.000 Besucher.

Aber die Verantwortung zur Vermittlung nehmen Manifesta Chefin Hedwig Fijen und ihr Team - das zeigen entsprechende Angebote - sehr ernst. Eine Ausstellungsplattform, die hart am aktuellen kunsttheoretischen Diskurs segelt, erklärt sich nicht im Vorbeigehen. Besonders nicht dort, wo die Beschäftigung mit Themen des Transeuropäischen abstrakter und anspruchsvoller wird, wie beim Kuratorenkollektiv tranzit.org (u. a. mit Georg Schöllhammer). Sie verknüpfen diese Themen mit intelligenten Diskursen zu Postkolonialismus, Postkommunismus und Modernekritik und garnieren es mit Performances, die niemals Worte bedürfen. (Anne Katrin Feßler aus Cartagena und Murcia / DER STANDARD, Printausgabe, 15.10.2010)