Goethe mit Ausrufezeichen. Der junge Dichterfürst (Alexander Fehling), der noch nichts publiziert hat, und Charlotte Buff (Miriam Stein) sind dabei, Weltliteratur zu schreiben.

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Wien - Wenn eine Nacht lang wird und der Humpen viele gehoben sind, dann kommt irgendwann der Moment, an dem auch ausdauernde Zecher an ihre Grenzen gehen. Sie trinken dann noch einmal extra über den Durst und sprechen dabei programmatisch von einem "Absacker".

Dass man um 1770 schon von einem "Absacker" gesprochen hat, darf bezweifelt werden - im gründlichen Wörterbuch der Brüder Grimm jedenfalls findet sich der Begriff nicht, dafür aber in dem aktuellen Film "Goethe!" von Philipp Stölzl. Dort kehrt der junge Rechtsreferendar Johann Goethe ("mit oe!") eines Abends mit zwei Kumpels angeheitert in seine Bude zurück. Mit einem weiteren Getränk sorgen sie für eine entsprechende Bettschwere.

Es ist der einzige Moment in diesem Film, der ein wenig bilderstürmerisch ist: Das hatten die Deutschsprachigen ja doch weitgehend vergessen, dass JWvG, der Olympier mit Wohnsitz Weimar, irgendwann auch ein Mensch mit Durst und Schwächen war. In "Goethe!" tritt dieser Mensch der ganzen Welt entgegen, mit dem Überschwang, auf den die Jugend ein Vorrecht hat - auch die Macher des Films sind ja noch relativ jung, dementsprechend basteln sie sich einen Dichterfürsten zurecht, von dem es direkte Verbindungen zur Popliteratur gibt.

Der Goethe, der hier mit Ausrufezeichen auftritt, befindet sich erst an der Schwelle zur literarischen Karriere. Noch hat er nichts veröffentlicht, sein Drama über Götz von Berlichingen wurde von einem Verlag zurückgewiesen, bei der Prüfung der Juristerei ist er durchgefallen. Nun schickt ihn der strenge Vater nach Wetzlar, wo es eine Stelle als Rechtsreferendar für ihn gibt. Juristen brüten über kniffligen Fällen, für die Goethe sich nicht interessiert.

Bei einer Tanzveranstaltung lernt er die Pfarrerstochter Charlotte Buff kennen, die er wenig später mit seinem Freund Jerusalem in deren Familienheim aufsucht. Aus dieser Bekanntschaft ist Weltliteratur geworden, aufgrund dieser (und einer weiteren) Erfahrung hat Goethe "Die Leiden des jungen Werthers" geschrieben, auf die auch "Goethe!" hinausläuft. Der Film nimmt sich dabei einige literarische Freiheiten und weiß diese gewinnbringend zu nutzen. Es geht um ein heutiges Bild von Goethe, nicht um historische Rekonstruktion. Tatsächlich gelingt es Stölzl im Verband mit den Drehbuchautoren Christoph Müller und Alexander Dydyna, die Figuren von einst lebendig werden zu lassen.

Verflossene Geliebte

Alexander Fehling und Miriam Stein sind überzeugende Hauptdarsteller. Und wie in "Goethe!" mit der problematischen Nebenfigur des Kestner umgegangen wird, hat fast so etwas wie Noblesse bei einer Figur, die leicht zur schnöden Karikatur hätte werden können (zumal sie mit Moritz Bleibtreu besetzt wurde). Im richtigen Leben sind die Dinge meistens kompliziert und vielschichtig, in einem Film dieser Façon aber müssen die Gemengelagen auf überzeugende Umschlagpunkte der Leidenschaft und der Vernunft gebracht werden; darin erweisen sich die Stärken von "Goethe!".

Durch die persönliche Zueignung Werthers wird die verflossene Geliebte zur ersten Literaturagentin. Auch darin erweist sich "Goethe!" als zugleich altmodisch und modern. Wer für diese Mischung empfänglich ist, wird sich an einem anachronistischen Wort wie "Absacker" nicht stoßen. Das wäre nämlich Philisterei - in Abgrenzung davon wurde Goethe erst richtig zum Klassiker. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Printausgabe, 15.10.2010)