Eine Szene aus "80Days": Spiele wie diese könnten irgendwann den Lehrer ersetzen.

Foto: 80Days

Ein internationales Team rund um einen Grazer Psychologen hat nun einen Prototyp entwickelt, um damit neuen Boden zu betreten.

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Feon bittet um Hilfe. Der freundliche Außerirdische arbeitet an einem Reiseführer über den Planeten Erde. Ob man ihn nicht in seinem Raumschiff begleiten und ihm die Welt zeigen möchte? Natürlich möchte man.

So lautet, in extremer Kurzform, der Inhalt von 80Days, einem Computerspiel, dessen Entwicklung durch ein europäisches Expertenteam durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU gefördert wird. 80Days gehört zu den sogenannten Serious Games, wissensvermittelnden Lernsystemen, die vielleicht irgendwann sogar den Lehrer im Klassenzimmer ersetzen könnten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die erforderlichen Technologien und didaktischen Methoden stecken noch in den Kinderschuhen. Und das soll sich ändern.

Die Grundidee ist einfach: Die seit Jahren um sich greifende Begeisterung für Computerspiele soll für Bildungszwecke nützlich gemacht werden. "Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene sind ganz wild darauf, solche Spiele zu spielen", sagt der Psychologe Michael Kickmeier-Rust. Er ist als Wissenschafter an der Universität Graz tätig und Projektkoordinator von 80Days.

Mit Computer-Games können trockene, uninteressante Inhalte in Abenteuer verpackt und so für Schüler schmackhaft gemacht werden, sagt der Forscher. Eigenaktivität statt Frontalunterricht ist der Schlüssel. "Man tut etwas, interagiert, durchwandert einen Wissensraum", schwärmt Kickmeier-Rust. So lasse sich die "bittere Pille des Lernens" leichter schlucken.

Globaler Wettlauf

80Days' offizielle Ziele sind überaus ambitioniert. "Die Europäische Kommission betrachtet dieses Projekt als eines ihrer Flaggschiffe in einer Forschungspolitik, die im Wettbewerb mit Asien und den USA den optimalen Weg zur Organisation von Bildung und Lernen aufzeigen soll", heißt es. Der Wettlauf um eine Führungsposition in der globalen Wissensgesellschaft ist indes hart.

Vor allem in den USA werden bereits seit einiger Zeit gewaltige Anstrengungen auf dem Gebiet der Serious Games unternommen. Hauptakteur dort ist das Militär. Die Website "America's Army" bietet zum Beispiel eine große Vielfalt an unterschiedlichen Trainingsspielen für Soldaten. Ausnahmesituationen zum Einüben im Home-Office.

80Days entstammt dagegen einem friedlichen Umfeld. Die Grundlage wurde 2006 von einer deutschen Designerfirma zusammen mit einem internationalen Wissenschafterteam gelegt. Sie initiierten das Projekt Elektra, dessen Herzstück die von der EU geförderte Entwicklung eines neuen Lernspiel-Prototyps war. Durch ihn sollten Achtklässlern die Gesetze der Optik vermittelt werden. Auf den "dabei entstandenen Forschungsfragen" habe man 80Days aufgebaut, berichtet Michael Kickmeier-Rust.

Das Elektra-Spiel basiert erstmalig auf dem Prinzip der sogenannten Mikro-Adaptivität. Seine Kernaussage: Um einen optimalen Lerneffekt zu erzielen, darf der Spielfluss nicht durch Zwischenfragen oder andere didaktische Eingriffe unterbrochen werden. "Das Eingenommensein in der virtuellen Welt wird dadurch zerstört", betont Kickmeier-Rust.

Jegliche Lenkung muss somit äußerst subtil, praktisch unmerklich erfolgen. Sonst wird die Aufnahme des Lernstoffs behindert, oder der Spieler verliert schlichtweg die Lust und hört auf. Elektras technische Spielarchitektur umfasst deshalb neben klassischen Game-Modulen auch Programme zur Erkennung der individuellen Fähigkeiten eines Spielers sowie seiner Lernfortschritte.

Künstliche Intelligenz

Diese Informationen werden in Form von ständig aktualisierten Anpassungen des Spielverlaufs verarbeitet. "Die Adaptivität", sagt Michael Kickmeier-Rust, "ist nichts anderes als eine gewisse Form der künstlichen Intelligenz. Das System muss rausfinden, was ein Spieler am liebsten hat, und sich dann darauf einstellen."

Eine detaillierte wissenschaftliche Evaluierung des Elektra-Projekts erschien in diesem Jahr im Fachblatt Journal of Computer Assisted Learning (Bd. 26, S. 95). 80Days ist der nächste Schritt. Seit 2008 sind mehr als 4,2 Millionen Euro Fördergelder und, von allen Beteiligten zusammengerechnet, gut 38 Jahre Arbeitszeit in das Projekt eingeflossen. Die Ergebnisse werden demnächst in Buchform veröffentlicht. Bei Tests gab es von Schülern fast nur positive Rückmeldungen, berichtet Michael Kickmeier-Rust. "Sie vergaßen relativ schnell, dass es ein Lernspiel ist." Und das ist sehr wichtig für die Akzeptanz. Lernen gilt schließlich schnell als "uncool", vor allem bei Schülern aus eher bildungsfernen Bevölkerungsschichten. Der nächste Schritt: der Aufbau eines europäischen "Virtual Research Centre". (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2010)