Absolventen des Gandhi-Gymnasiums: Berufswunsch entspricht nicht immer der Erwartung.

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Krisztina schaut, als hätte sie gerade ihr Essen aus der Toilette gefischt. "Roma!" So möchte die Achtzehnjährige nicht genannt werden. "Der Begriff ist affig. Über-korrekt. Wir sind Zigeuner, und wir sind anders." Die vier anderen Schüler in der großzügig ausgestatteten Schulbibliothek nicken beifällig. Dass das Wort zum Vokabular der Nazis gehörte, ist ihnen egal.

Entschuldigung, wie "anders" ? Sie verdrehen die Augen, grinsen. Sie sind unter anderem deshalb in dem Internat, damit sie diese Frage nicht mehr beantworten müssen. Es ist das weltweit einzige Gymnasium für Roma-Schüler, aber es werden auch Nicht-Roma aufgenommen.

Die Schule befindet sich in einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung am Rande von Pécs, der Kulturhauptstadt 2010 in Südungarn. Das Roma-Internat existiert seit 16 Jahren, mehr als die Hälfte der Lehrer im Kollegium gehören der Minderheit an. Vor der Büste des 1999 verstorbenen Schulgründers liegt ein Kranz. János Bogdán, der Rom war und Ungarisch und Geschichte studiert hatte, wollte eine Roma-Elite heranbilden, die stolz auf Herkunft, Sprache und Traditionen ist. Möglichst viele Schüler sollen anschließend studieren.

Temperamentvoll

Andrea Ritter ist Ungarin, frisch vom Praktikum kam sie vor einem Jahr ans Gandhi-Gymnasium. "Zuerst war ich schockiert" , erzählt sie. "Die Schüler waren laut und reagierten oft anders, als ich es erwartet hatte. Sie sind temperamentvoll. Konflikte kochen schnell hoch und werden oft handgreiflich gelöst." Andererseits seien die Schüler unverstellt. "Entweder sie mögen einen oder eben nicht." Sie hat Glück gehabt.

"Ich muss mich sehr um die Schüler kümmern" , sagt sie. "Wenn sie schlechte Resultate abliefern oder fehlen, forsche ich nach: Was ist zu Hause los?" Neben der Tür des Klassenraums steht "Django Reinhardt" auf einem Schild. Der berühmte Jazzgitarrist stammte aus einer Roma-Familie. Auch die anderen Räume tragen die Namen von Roma-Künstlern.

Mariann (18) träumt von einer Gesangskarriere, aber sie wird sich an der Uni für Psychologie bewerben. Dass ihr Auftrag "Studium" lautet, ist ihr so bewusst wie den anderen. Ein Maturant aus dem letzten Jahrgang studiert heute mit Stipendium in Harvard. Alle kennen diese Erfolgsgeschichte, aber wenn man sie nach Vorbildern fragt, schweigen sie.

Das Leben der Menschen in der adretten Pécser Innenstadt und das der Roma berühren sich kaum. Mit sieben Prozent bilden sie die größte ethnische Minderheit. Je nach Region sind 50 bis 90 Prozent von ihnen arbeitslos. Bei den Maturanten und Studenten liegt der Anteil der Roma bei unter einem Prozent, weniger als die Hälfte der Kinder schließt die Grundschule ab. Werden die Gandhi-Schüler im Alltag diskriminiert? "Rassismus in Ungarn? Unmöglich..." , spottet Krisztina. Mariann erzählt zögernd von Busfahrern, die sie nicht transportieren wollten. Bei der Aufnahme an die Uni dagegen wirkt sich ihre Herkunft vergünstigend auf den Notenschnitt aus. Allerdings schafften zuletzt nur wenige Schüler die für die Uni nötigen Ergebnisse.

Die ungarische EU-Abgeordnete Victoria Mohacsi ist selbst Romni und setzt sich gegen die Ausgrenzung ein. Zum staatlich finanzierten Gandhi-Gymnasium steht sie trotzdem kritisch: "Mindestens zehn Schulen könnten mit dem Geld betrieben werden. Wenn die Gandhi-Schule nicht so teuer wäre, könnte sie vielleicht als Modell dienen. Aber auch dann wäre ich dagegen, weil sie nicht integrativ ist."

Fast unter sich

Krisztina reagiert wütend auf diese These: "Leute, die noch nie hier waren, sollten ihren Mund halten!" Aber Begegnungen mit anderen Gymnasien in Pécs oder Auslandsreisen finden derzeit nicht statt, die Schüler bleiben unter sich. Allerdings: In jeder Klasse gibt es ein bis zwei Schüler, die nicht der Minderheit angehören, so wie Agnés Koloszi. Ihr Stiefvater ist Rom. Vor dem ersten Schultag habe sie Angst gehabt, mittlerweile sei sie als "Ehren-Romni" akzeptiert, sagt sie und lächelt.

Derzeit besuchen 212 Schüler das Gymnasium, in dem auch 350 Platz hätten. Im letzten Jahrgang bewarben sich etwas mehr als 100, 70 wurden genommen. Die Zeugnisse der anderen waren nicht gut genug. Aber die Zahl der Schulabbrecher sinkt regelmäßig. Ein Erfolgsmodell? "Natürlich ist es eine Gratwanderung. Der Schutzraum darf nicht zur Einbahnstraße werden" , sagt Andrea Ritter. Der Erfolg des Gymnasiums wird am Ende an der Zahl der Roma-Studenten aus seinen Reihen gemessen. Eriks Ziel ist bescheidener. Er möchte Polizist werden. (Maike Wetzel aus Pécs, DER STANDARD, Printausgabe, 11.10.2010)