Christoph Hofingers Sicht auf den Wahlkarten-Betrug ist unaufgeregt: "Die Republik hält das aus, aber nicht gut für die Demokratie."

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Standard: Zwölf Prozent der Wiener Wahlberechtigten haben Wahlkarten ausgefüllt. Unter welchen Umständen können diese wahlentscheidend sein?

Hofinger: Dann, wenn es knappe Ergebnisse gibt - etwa 49, 50, 51 Mandate für die SPÖ -, dann können die Wahlkarten-Wähler einen sogenannten "Cliffhanger" erzeugen, also durch Mandatswanderungen die Frage einer absoluten SPÖ-Mehrheit entscheiden. Eventuell erst acht Tage nach der Wahl, wenn die letzten ausgezählt sind.

Standard: Es heißt, Wahlkarten-Wähler seien eher nicht SPÖ-Wähler. Warum nicht?

Hofinger: Das hieß es früher, als eher die mobilen Wohlhabenden, die Zweithaus-Besitzer, aber auch die Bildungsschichten, zum Beispiel Studenten aus den Bundesländern, die am Wochenende nach Hause fahren, die Wahlkarten verwendet haben. Das waren bisher ÖVP- und Grün-affine Gruppen. Wären die Briefwähler heute immer noch so Schwarz-Grün-lastig, würden sie um zwei bis drei Prozent verschieben. Die Steiermark-Wahl hat gezeigt, dass das aber so nicht eintritt.

Standard: Warum nicht?

Hofinger: Wahlkarten-Wähler werden den konventionellen Wählern immer ähnlicher. Es hat sich herumgesprochen, wie bequem es ist, auf diese Art zu wählen - auch Pensionisten tun dies zunehmend. Das hat in der Steiermark dazu geführt, dass die SPÖ kaum verloren hat in der Briefwahl. Dazu kommt, dass die Stadt Wien ein sehr gutes Service bietet.

Standard: Es wird, vor allem nach dem Geständnis des burgenländischen Bürgermeisters, selbst 13 Wahlkarten ausgefüllt zu haben, heftig diskutiert, ob die Briefwahl nicht dem Wahlbetrug Tür und Tor öffnet. Ihre Meinung dazu?

Hofinger: Das Problem ist, dass die Wahlkarten erst acht Tage nach der Wahl bei der Wahlbehörde eintreffen müssen. Da kann man nie ausschließen, dass da Missbrauch betrieben wird. Diese Frist ist eindeutig zu lange. Ich verstehe schon, dass der Gesetzgeber die durchaus positive Absicht hatte, den Briefwählern zu ermöglichen, auch noch die letzte Phase eines Wahlkampfes mitzuerleben. Aber acht Tage sind eindeutig zu viel. Es ist höchste Zeit, dass dieses Gesetz jetzt endlich repariert wird.

Standard: Wie würden Sie das Gesetz reparieren?

Hofinger: Zwei Varianten werden momentan diskutiert. Die eine ist, dass die Wahlkarten am darauffolgenden Montag einer Wahl eintreffen müssen. Darüber kann man diskutieren. Die andere ist, dass alle Stimmzettel bis zum Wahlschluss am Sonntag eingetroffen sein müssen.

Standard: Ihre Präferenz?

Hofinger: Ich halte die Sonntagabend-Variante für sinnvoll. An Wahlsonntagen sitzt die ganze Nation vor den TV-Geräten. Und es ist unbefriedigend, wenn man immer häufiger sagen muss: "Genau können wir das heute leider nicht sagen, wir müssen die Wahlkarten abwarten." In Deutschland gab es zuletzt um die 20 Prozent Briefwähler. Spätestens da kann man am Wahlabend nicht mehr sagen, wer wie viele Mandate bekommt und welche politische Mehrheiten und Koalitionen möglich sind.

Standard: Bringt der Wahlbetrug im Burgenland das gesamte Briefwahlsystem in Misskredit?

Hofinger: Die Republik hält das aus. Aber es ist für eine Demokratie nicht gut, wenn an Wahlergebnissen gezweifelt wird. (Petra Stuiber, DER STANDARD, Printausgabe, 11.10.2010)