"Es gibt am Markt kein Überangebot, nur einen Unterverbrauch:" Bayerngas-Chef Marc Hall.

Foto: STANDARD/Hendrich

Standard: Bayerngas wagt den Sprung nach Österreich. Mit welchen Erwartungen?

Hall: Das ist nicht der erste Schritt über die Grenze, wir haben bereits einzelne Kunden beliefert.

Standard: Mit der Eröffnung eines Wiener Büros bekommt das aber eine neue Qualität.

Hall: Es stimmt, wir wollen es jetzt systematischer angehen. Einige Kunden in Südbayern und in Nordrhein-Westfalen sind auch in Österreich tätig, die wollen wir beliefern.

Standard: Haben österreichische Versorger in Süddeutschland so stark Gas gegeben, dass jetzt die Retourkutsche kommt?

Hall: Was heißt Retourkutsche - das ist ein Schritt zur Normalität. Vielfalt wird ja auch in Brüssel gewünscht. In dem Ausmaß, wie österreichische Versorger in Bayern anbieten ist es durchaus normal, dass ein Unternehmen wie Bayerngas auch Chancen in Österreich nützen will.

Standard: Das Problem sind die beschränkten Leitungskapazitäten. Hall: Tirol ist relativ einfach, weil mit Deutschland verbunden ...

Standard: ... eigentlich ausschließlich mit Deutschland, weil noch immer ein knapp 20 km langes Verbindungsstück zwischen Tirol und Salzburg fehlt. Der Tiroler Versorger Tigas ist Gesellschafter der Bayerngas - gibt es Gebietsschutz?

Hall: Klar, so wie bei unseren anderen Gesellschafterkunden, den Stadtwerken. Die Tigas ist spannend, weil sie Kunde und Gesellschafter von Bayerngas ist und uns auch bei der Bayerngas Norge begleitet, die nach Gas in der Nordsee bohrt. So gesehen gibt es neben OMV und RAG ein drittes Explorations- und Produktionsunternehmen in Österreich, die Tigas - über diese Beteiligung.

Standard: Suchen Sie neben großer Industrie auch andere Kunden?

Hall: Bayerngas ist vom Ursprung her eine Beschaffungsorganisation kommunaler Unternehmen. Daneben haben wir Direktkunden aus der Industrie. So gesehen ist das eine oder andere Stadtwerk in Österreich ein potenzieller Kunde, wenn das auch nicht unsere Hauptstoßrichtung ist.

Standard: Haben Sie schon Kapazitäten auf der Nabucco-Pipeline reserviert, die Gas aus der Kaspischen Region bis Wien bringen soll?

Hall: Wir waren von Beginn an dabei, jetzt geht es in die verbindliche Phase. Das definitive Buchen von Kapazitäten hängt aber davon ab, ob man auch Gas bekommt. Im Moment sind alle sehr bemüht, Gas aufzustellen, damit die Kapazitäten gebucht werden können. Leider ist derzeit die größte potenzielle Quelle - der Iran ...

Standard: ... politisch tabu?

Hall: ... und wird von Nabucco auch nicht mehr angeboten. In der Vorphase gab es die Möglichkeit, an der aserbaidschanischen oder iranischen Grenze in das Nabucco-System einzuspeisen. Die Alternative lautet jetzt Georgien/Aserbaidschan oder Irak.

Standard: Das reicht nicht?

Hall: So eine Leitung schreibt sich über Jahrzehnte ab. Da kann man die zweitgrößten Gasreserven der Welt (Iran; Anm.) nicht einfach ausgrenzen. Es dauert, bis Kapazitäten aufgebaut sind. Die Entwicklung des Gasfeldes Schach Denis II im Kaspischen Meer wurde verschoben, auch das Irak-Gas ist nicht sofort verfügbar. Die einzige Leitungsverbindung, die es schon gibt, ist aus dem Iran, wo auch turkmenisches Gas durchgeleitet werden könnte. Aber die ist geschlossen.

Standard: Es gilt das Prinzip Hoffnung, dass sich die politische Lage im Iran irgendwann entspannt?

Hall: Und dass sich der Zugang des Westens zum Iran entspannt.

Standard: Wie sollte man Ihrer Ansicht nach mit den Machthabern im Iran umgehen?

Hall: Es gab einmal ein Reich des Bösen, das war die Sowjetunion. Die langfristigen Gaslieferungen von Ost nach West haben viel dazu beigetragen, dass es letztlich zu einem Aufweichen der Fronten und zu einer Kooperation gekommen ist. Warum sollte das beim Iran nicht auch möglich sein?

Standard: Es gibt derzeit viel billiges Gas am Markt - Zeichen eines Überangebots?

Hall: Ich sehe strukturell kein Überangebot. Wir haben es vielmehr mit Unterverbrauch zu tun - Folgen der Krise. Bei einem Wirtschaftsaufschwung trocknet das rasch wieder auf.

Standard: Bis vor kurzem hätte man auch nicht gedacht, dass die USA aufgrund der Schiefergasförderung plötzlich unabhängig von Gasimporten werden könnten?

Hall: Da wird viel hineininterpretiert. Was Shale-Gas schafft, ist, die Importabhängigkeit der USA und den rapiden Rückgang der US-Eigenproduktion zu verflachen, mehr nicht.(Günther Strobl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.10.2010)