Kunst, bedrängt von den Wünschen des Geldgebers: Haushofmeister M. Maertens (li.) und Musiklehrer J. Schmeckenbecher. Foto: Kmetitsch

Foto: © Werner Kmetitsch/Theater an der Wien

Wien - Zerbrochene Flügel hinter einer Absperrung aus purpurnen Kordeln, rundherum hektisches Treiben seriöser Anzugsträger, seltsamer Paradiesvögel sowie perückenbestückter Rokokofiguren - und das Ganze in einem modernen Flugzeughangar: Für seine Inszenierung von Ariadne auf Naxos hat Altmeister Harry Kupfer in die Vollen gegriffen, aus einigen Jahrhunderten Theatertradition geschöpft und es damit bewerkstelligt, den Handlungsrahmen der Oper überzeugend zu aktualisieren.

Albtraum eines Komponisten

Hugo von Hofmannsthals Text zu diesem sogenannten "Vorspiel", von Strauss erst für die zweite Fassung vertont, kreist ja um den Albtraum eines Komponisten, seine Opera seria neben das Machwerk einer Komödiantentruppe gestellt zu wissen, der sich dazu steigert, dass beide Stücke nach dem Willen des "reichsten Mannes von Wien" zugleich aufgeführt werden müssen. Ähnliche Vorstellungen soll es rund um den Hangar eines Salzburger Brausegetränkeherstellers tatsächlich bereits gegeben haben.

Während auf Flatscreens Aktienkurse laufen und der Mäzen vom Rollstuhl aus das Treiben verfolgt, wird dann also die "Oper" gegeben. Selbst schon bewusst anachronistisch gestaltet, wird dies im Theater an der Wien noch verstärkt: mit mitten in der sterilen Halle (Bühne: Hans Schavernoch) schwebenden Lustern, dem mit Zeremonienstab und gepresster Nasalität auftretenden Haushofmeister (Michael Maertens), dessen Perücke später die Haare zu Berge stehen, als er die wahnwitzigen Entscheidungen seines Herrn weitergeben muss.

Grelle Kontraste streichen auch die Kostüme (Yan Tax) heraus, wenn etwa die Komödianten Simon Bailey (Truffaldin), Charles Reid (Brighella), Nicholas Watts (Scaramuccio) und Nikolay Borchev (Harlekin) mit neonfarbenen Teletubby-Ohren, rotem Hirschgeweih, grasgrüner Stehfrisur oder als bunt gefiederter Papageno-Abklatsch auftreten. Graziös angestachelt werden sie vom Tanzmeister (Jürgen Sacher), dessen seriösem Gegenpol, dem Musiklehrer, Jochen Schmeckenbecher pointierte Gestalt verleiht.

Für Gesang und Spiel gebührte fast allen im Ensemble - wäre es nicht anachronistisch - eine silberne Rose, vor allem aber der grandiosen Heidi Brunner als Komponist, Anne Schwanewilms als würdiger Ariadne und fahriger Primadonna sowie Tenor Johan Botha. Als befrackter Bacchus bietet er eine Persiflage auf wagnereskes Stehtheater, was seine begrenzte szenische Wendigkeit, ganz im Gegensatz zur mächtigen Stimme, in ironischem Licht erscheinen lässt.

Mit darstellerischem Pfiff und bezwingender stimmlicher Leichtigkeit gibt Mari Eriksmoen die Zerbinetta. Dirigent Bertrand de Billy frönt währenddessen mit dem ORF Radiosymphonieorchester Wien kammermusikalischer Transparenz und einem gepflegten Espressivo - perfekt, manchmal auch etwas glatt. Das klingt dann zuweilen so, als ließe sich Strauss auf einen Vorreiter von Filmmusik reduzieren, wenn etwa eine plötzliche harmonische Öffnung nur als interessanter Farbtupfer, aber ohne Überraschungseffekt ausgespielt wird.

Souveräne Pointen und Ideen

Fürs Auge bietet die Produktion dagegen Überraschungen en suite: Während die Sänger ein Flugzeug besteigen, zeigt die Videowand ein Wolkenmeer - und dann sogar jenes Feuerwerk, das sich der Mäzen am Ende der Vorstellung eingebildet hat. Zugleich erhalten die Künstler bereits ihr Honorar; der Komponist, der die Opernaufführung die ganze Zeit verfolgt hat, ist da allerdings schon gänzlich gebrochen und will sein Geld gar nicht mehr haben.

Auf Hofmannsthals Text lässt sich fast alles zurückführen, was Harry Kupfer an Ideen einbringt: Da ist tatsächlich einmal von einem "fremden Vogel" die Rede, oder es heißt, dass Bacchus "verwandelt" wird: So küsst Ariadne am Ende Harlekin, während sich Zerbinetta an Bacchus heranmacht. Somit gelingt der Regie zwar nicht die Verbildlichung der Vermählung von Opera buffa und seria, aber zumindest ein symbolträchtiger Partnertausch.

Dass die Inszenierung darüber hinaus nicht nur ihre Deutung, sondern auch jede Pointe aus dem Libretto souverän und zugleich originell serviert, führt dazu, dass diese Ariadne letztlich tatsächlich abhebt - und wie! (Daniel Ender, DER STANDARD, 11.10.2010)