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Das Prostatakarzinom ist eine Geißel des Alters.

Foto: APA/Jens Meyer

Die Diagnose ist erschütternd und nicht selten. Prostatakrebs ist inzwischen die häufigste Krebsform bei Männern. In Österreich erkranken jährlich knapp 5000 Männer neu. Die meisten haben ihren 60. Geburtstag längst gefeiert - das Prostatakarzinom ist eine Geißel des Alters. Und das Risiko steigt mit den Jahren: Zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr zum Beispiel trifft es einen von 21 Männern, nach dem 70. befällt die Krankheit schon jeden 16-ten. In der alternden europäischen Bevölkerung wächst das Heer der Betroffenen somit ständig an.

Nimmt die Häufigkeit zu? "Ganz genau weiß das niemand", sagt Heinz Pflüger, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Andrologie und Urologie in Wien. Neuere Diagnoseverfahren wie der PSA-Test ermöglichen ein früheres Erkennen der Krankheit, erklärt der Urologe, und nun tauchen diese Patienten auch in der Statistik auf, zusätzlich zu denjenigen, die bereits an fortgeschritteneren Stadien leiden. Es steigt die Gesamtzahl, zumindest kurzfristig. Die Sterblichkeit variiert und nimmt im höheren Alter ebenfalls zu. Die Überlebenschancen haben sich während der vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich verbessert - dank moderner Behandlungsmethoden.

Was aber löst die bösartige Wucherung aus? Eine noch weitgehend offene Frage. Als gesicherter Risikofaktor gilt nur das Alter. Interessanterweise tritt das Prostatakarzinom bei ostasiatischen Männern sehr viel seltener auf als bei Europäern und Nordamerikanern. Das Verhältnis beträgt etwa 1:80.

Frage des Lebensstils

In den USA tragen ostasiatische Einwanderer der zweiten Generation jedoch das gleiche Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, wie aus Europa stammende Einwanderer. Experten vermuten, dass diese Angleichung eine Folge veränderter Ernährungsgewohnheiten ist. Eine "amerikanisch-europäische" Diät würde demnach auch bei Asiaten für steigende Krebsraten sorgen. Der Hauptverdacht fällt auf tierische Fette, belegt ist diesbezüglich aber noch gar nichts.

Eines steht jedoch fest: Das Wachstum von Prostatakarzinomen wird durch das männliche Hormon Testosteron beeinflusst. Wenn man dessen Konzentration durch Medikamente oder gar Kastration gegen null senkt, wird auch das Krebswachstum gebremst. Des Weiteren gibt es bei einigen Patienten Hinweise auf eine familiäre Veranlagung. Immer werden zudem auch Alkoholkonsum, Vasektomie, sexuelle Aktivität und Geschlechtskrankheiten als mögliche Risikofaktoren genannt. Alles jedoch ohne klare Beweise. "Was hingegen zunehmend in Diskussion gerät, sind chronische Entzündungen", erklärt Heinz Pflüger. Solche Fälle von Prostatitis sind oft schmerzhaft und schwer heilbar und gehen womöglich der Bildung von Prostatakarzinomen voraus, meinen einige Mediziner. Vielleicht gibt es hier einen noch unbekannten Erreger, ähnlich wie Helicobacter pylori, der erst 1982 entdeckte Keim, der Magengeschwüre und -Krebs verursacht. Doch das ist alles noch sehr spekulativ, betont Pflüger.

Auf einem anderen Gebiet der Prostatakrebs-Forschung gibt es indes Fortschritte. Wissenschafter der Medizinischen Universität Wien und der Harvard Medical School in Boston/USA haben gemeinsam den Einfluss des sogenannten TRAIL-Proteins in Prostatakarzinomen untersucht. TRAIL ist ein körpereigener Botenstoff mit verheerender Wirkung. Er bindet sich an Rezeptor-Moleküle an der Oberfläche einer Zelle und löst dadurch eine zerstörerische Kettenreaktion aus: die Apoptose, den vorprogrammierten Zelltod, bei der sich Krebszellen selbst auflösen. Doch diese entwickeln Abwehrmechanismen.

Das österreichisch-US-amerikanische Forscherteam hatte bereits in einer früheren Studie nachgewiesen, dass die Bildung von TRAIL-Rezeptoren in Eierstock-Karzinomen weitgehend unterdrückt wird. Dasselbe geschieht nach einer neuen Untersuchung auch im Gewebe der meisten Prostata-Krebsgschwüre. Zudem zeigt sich in vielen Fällen eine gesteigerte Produktion des FLIPL-Proteins, welches höchstwahrscheinlich den Apoptose-Prozess unterbricht. "Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich Tumorzellen dem Zugriff des Immunsystems entziehen können", sagt Michael Krainer, Onkologe in der internationalen Arbeitsgruppe.

Proteine aufspüren

"Die Herausforderung ist, dass wir viel zu wenig über die Mechanismen der TRAIL-Resistenz wissen." Dessen medizinische Bedeutung dürfte vor allem das Problem der rezidiven Tumorbildung betreffen, des erneuten Entstehens von Krebsgeschwüren - Metastasen - nach Entfernung der Prostata. Solche tauchen vor allem in den Knochen auf und lassen sich oft weder mit hormonreduzierenden Methoden noch chemotherapeutisch be-handeln. Krainer und Kollegen weisen in ihrer Studie nach, dass TRAIL direkten Einfluss auf das Überleben der Patienten hat. Je mehr davon im Inneren des Krebsgewebes vorhanden, desto geringer die Rückfallrate, so der Wiener Forscher.

Auch wenn TRAIL-basierte Therapien gegen Prostatakrebs noch lange nicht zur Verfügung stehen werden und die ersten Entwicklungsarbeiten noch nicht einmal die Stufe von klinischen Tests erreicht haben, sehen die Experten doch Potenzial für neue Behandlungsmethoden und Diagnoseverfahren. Vielleicht könnten TRAIL- und FLIPL-Konzentrationsmessungen zukünftig sogar die immer noch umstrittenen, auf die Präsenz gewisser Antikörper basierenden PSA-Tests ersetzen. Letztere würden zum Teil unnötige Behandlungen nach sich ziehen, kritisieren viele Mediziner. PSA weise nämlich auch auf Tumoren hin, die kaum wachsen und somit nicht bedrohlich seien. Klaus Pflüger vom Ludwig-Boltzmann-Institut ist anderer Meinung. Es gebe ja noch nichts Besseres, betont der Urologe, und rät zur PSA-Vorsorgeuntersuchung. "Weil die Leute dann ja noch in heilbarem Zustand kommen." Alles andere wäre Vogel-Strauß-Politik. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 11.10.2010)